Luther, der Teufel oder: Luther, das Werkzeug des Teufels?
Martin Luther in katholischen Kontroverspredigten um 1600
Andreas Holzem
Als Martin Luther 1546 sein Leben mit dem Bekenntnis beendete, wahrhaftig „ein pettler“ zu sein,1 wurde sein Sterben aufmerksam dokumentiert. Noch am Totenbett entstand eine Pinselzeichnung des aufgebahrten Leichnams. Sie zeigte jenen „feisten Doktor“2, der Luther nach eigenem selbstironischen Bekunden geworden war, aber eben einen, der offenkundig friedlich eingeschlafen war. Und das musste bis auf höchste politische Ebenen hinauf veröffentlicht werden: Denn Martin Luther hatte keineswegs in seinem letzten Stündlein der Teufel geholt, wie seine altgläubigen Gegner immer wieder vorhergesagt hatten.3 Noch ein halbes Jahrhundert später mochten das katholische Kontroverstheologen nicht glauben. Jedenfalls weigerten sie sich, Luthers Tod öffentlich anders denn als schändlich-grässliches Ende eines verstockten Häretikers zu inszenieren. Der römische Kardinal Roberto Bellarmino (1542–1621) hielt in einer deutschen Ausgabe seiner Predigt Von der Frombkeit der H. Kirchenlehrer/ vnd Lasterthaten der Ketzern fest: „Damit das End der Ketzer vnserer Predig auch ein End mache/ ist zwar jhr aller Todt dem Leben nicht vngleich gewesen.“ Es folgt ein kurzer Verweis auf „den grewlichen Fall vnd End“ des Simon Magus, des Mani, der hier Manichæus heißt, und des Arius, also der drei am übelsten beleumundeten Erz-Häretiker aus der Frühzeit des Christentums.
So ist Martin Luther in seinem Epicurischen Leben auch Epicurischer Weiß gestorben. Dann als er einsmals (wie er zwar inn allweg gepflegt) ein volles Nachtimbs [Nachtimbiß, Nachtmahl] mit fabuliren/ schwenckreden vnd lächerlichen Possen eingenommen/ hat er sich in ein sanfftes vnd köstliches Ruhebeth gelegt/ als der ander Euangelische Prasser/ morgens aber ist er mit vmbgetrehetem Halß Kohlschwartz/ ohne Seel (die schon der Teuffel weggenommen) erfunden worden. Wo ist einer der geringste auß den Heiligen Gottes also gestorben? Glaubreiche namhaffte Männer haben bekandt/ daß Caluinus von Würmern gefressen sein Leben gelassen hab/ wie vormals Antiochus vnd Herodes.4
Der tote Luther war die scheußliche, keineswegs bemitleidenswerte Perversion jenes corpus incorruptum, mit dem der wahre Gott seine wahren Heiligen auszeichnete: in jugendlicher Schönheit, unversehrt von Alter, Todeskampf und Verwesung, duftend wie ein Meer von Blumen.5 Diese Luther-Imagination war eine Luther-Projektion. Sie überblendete die konkrete historische Persönlichkeit des Reformators mit dem Schema des Häretikers schlechthin, dessen Grundfiguration teuflischer Feindschaft gegen Christus und seine Kirche sich im Laufe der Geschichte stets neu konkretisierte und sich dennoch immer mehr oder weniger gleich blieb. Sie produzierte Differenz, indem sie den Unterschied zwischen Protestantismus und Katholizismus zugleich vergrößerte und radikalisierte: Sie riss den theologischen Graben des Kirchen‑, Rechtfertigungs‑, Heils- und Sakramentsverständnisses unüberbrückbar tief auf. Und das glaubte sie tun zu müssen, um wurzelhaft zu vereindeutigen: Die eine Lehre stammte von Gott – die andere vom Teufel.
Martin Luther in der katholischen Kontroverspredigt
Martin Luther spielte, das konnte gar nicht anders sein, in der katholischen Homiletik eine bedeutsame Rolle. In den großen Folianten, die über teils mehr als tausend Seiten die Schrifttexte der Sonn- und Feiertage des katholischen Kirchenjahrs auslegen, vermerken die Register hinter seinem Namen signifikant viele Belegstellen. Diese Bücher, die für Pfarrer eine enorme Investition darstellten, mussten sich rentieren. Priester, deren Ausbildung durch das tridentinische Priesterideal geformt worden war, sollten und wollten mit diesen Werken arbeiten, um auf der Kanzel zu vermeiden, was katholische Laien zunehmend verachteten: hohles Geschwätz, moralisierendes Geschimpfe, nichtssagende Märlein aus den veralteten Exempelsammlungen. Darum sind die Postillen mehr als nur normative Derivate der barockscholastischen Hochtheologie, die über religiöses Wissen und konfessionspolitische Orientierungen der Laien im Grunde nichts aussagen. Es ist im Gegenteil legitim anzunehmen, dass die hohen Auflagenzahlen und die in rascher Folge zu verzeichnenden Neudrucke eine nicht unerhebliche Breitenwirkung signalisieren. Darum stehen die Texte der homiletischen Sammlungen nicht allein für die Überzeugungen ihrer Autoren, sondern sie schlugen sich auch in den alltäglichen Haltungen und Handlungen der katholischen Konfessionskultur insgesamt nieder.
Alles in allem: In diesen Predigten kam der Teufel deutlich öfter vor als Martin Luther. Aber fast immer, wenn Martin Luther vorkam, war der Teufel nicht weit. Dennoch ist zu betonen: Die antireformatorische Kontroverse stand, nimmt man an der Textmasse Maß für das Gewicht eines Themas, eindeutig nicht im Mittelpunkt der Publikationsabsicht. Vielmehr ging es, wenn man weniger befähigten Geistlichen Modelle einer guten Predigt vor Augen führte, vorrangig darum, das Glaubenswissen anzureichern und die emotionale Bindung an die Kirche zu vertiefen.6 Nähert man sich von diesen Quellen her einer katholischen Luther-Imagination der Frühen Neuzeit an, dann stößt man vor allem auf drei Begriffsfelder:
1. Argumentationsfiguren, die eine ununterbrochene biblisch-apostolische Tradition und transzendente Kraft der überkommenen Kirche gegen die beliebig-neue Traditionslosigkeit jedweder Häresie stellten, um so die Geltungs- und Legitimitätsdifferenz des Katholischen und Evangelischen aus historischen Konstruktionen herauszupräparieren,
2. dann eine Produktion von Differenz, die darauf abzielte, die gegnerischen Alteritätsbehauptungen zu unterlaufen und für sich selbst zu reklamieren. Etwa: Protestanten behaupteten die Bibel wieder zur Geltung zu bringen, läsen sie dann aber eklektisch, verwürfen Teile des Kanons, verdrehten ihren Sinn, interpretierten an der konsensuellen Textauslegung der Patristik und des Mittelalters vorbei. Oder: Die Protestanten nähmen für sich die Wiederentdeckung entschiedenen Christentums in Anspruch, aber ihre Geistlichen kennten keine Askese; ihre Verachtung der guten Werke für die Seligkeit führe auch die Gläubigen stracks in einen schwächlichen Laxismus.
3. Schließlich beobachtet man explizit heilsökonomische Kontroversen, in denen es um einen effektiven – wirksamen – Zugang zu Heils- und Gnadenressourcen ging. Religiöse Devianz – mutwillige und strafwürdige Abweichung von Normen und Gesetzen – wurde hier thematisiert als verlorene ‚Handhabbarkeit‘ der Transzendenz und des Heiligen. Die Gottlosigkeit verstopfe die Transzendenzquellen und Gnadenkanäle der heiligen Kirche, ohne deren Vermittlungsportale niemand zum Heil gelangen könne.
Die erste, auf die geschichtliche Kontinuität der Kirche zielende Argumentation platzierte die stets bohrende Frage: Wo war Luthers vermeintlich wahre Kirche Christi vor Luther?7 Die nachfolgende Problematik erschien kaum weniger drängend: Kann ein katholischer Prediger zeigen, dass das Luthertum eine religiöse Wahrheit, eine gereinigte Kirche und einen christlichen Lebenswandel propagiert, dessen Anspruch es selbst nicht einlöst? Ja mehr noch: den die Altgläubigen theoretisch definiter und praktisch besser einlösen?8 Und schließlich die dritte große Frage an Martin Luther: Kann darüber hinaus der Anspruch der katholischen Kirche erwiesen werden, effektive Heilsgaben zu vermitteln, die den Gegnern nicht zu Gebote stehen? Ja mehr noch: dass die eigene Kirche wirksame Transzendenzkanäle zu Gott eröffnet, während die Reformation nur mit dem Teufel in Beziehung steht?
Martin Luther war also nicht unbedingt der Teufel in Person. Sonst hätte Kardinal Bellarmin sein sprichwörtliches ‚vom Teufel geholt‘ nicht in so spektakulärer Weise inszenieren können. Luther war vielmehr derjenige, der mit dem Teufel in einer besonderen Beziehung stand. Und in diesem ganzen grausigen Spiel war nicht etwa der Reformator der Akteur, der die Fäden in der Hand hielt. Er war der, der sich durch hoffärtiges Festhalten an einer häretischen Lehre und durch den Ungehorsam gegenüber der wahren Kirche Christi den Einflüsterungen des Teufels selbst ausgeliefert hatte (Abb. 1). Vor allem das war Martin Luther in den Augen katholischer Prediger: ein willfähriges, dabei eitles und aufgeblasenes Werkzeug des Teufels. Das war auch eine Strategie, die beängstigende Bedeutung zu verkleinern, die Martin Luther gewonnen hatte: Er dünkte sich groß, aber eigentlich war er klein. Ein Spielball des Erzbösen, mehr nicht.
Katholische Predigten spielten das Teuflische, das sie im Reformator, in seinen Mitreformatoren und in der evangelischen Kirchenbildung am Werk sahen, in praktisch allen Bereichen kirchlichen Lebens durch. Nur wenige Beispiele sollen das im Folgenden illustrieren. Dazu wird der Blick auf einzelne ausgewählte Predigtexempel gelenkt. Sie ließen sich beliebig vermehren.
Predigt, Postille, Hausandacht
Erstens wurde Luther natürlich vorrangig als Lehrer und Prediger wahrgenommen. Aber er war eben derjenige, der die Sprach- und Verführungsgewalt des Teufels verkörperte. So viel man auch, unwillig genug, gelernt hatte aus der Erfolgsgeschichte der evangelischen Predigt, so wenig wollte man sich dem anbequemen, was man für ihr vordringliches Stilmittel hielt, die Polemik nämlich: „Wir seind in der Lehr nicht vngeschickt vnd vngelehrt/ wir tasten auch die Widersacher nicht an mit schmach= vnd Lästerworten.“ Polemik sei ein Instrument des Teufels, erbauende Belehrung aber die Katechese-Methode der Kirche Christi. Einfache Gegensatzpaare also auch hier: Man wolle „kämpfen mit den LehrArtickeln“ und nicht mit den Personen, die sie verteidigten. Denn die Reformatoren, Martin Luther allen voran, „bedecken […] mit den Scheltworten die Seuchtgelehrtigkeit vnd Schwachheit ihrer Argument vnnd Bewehrungen.“9 Erfolgreich, so die Unterstellung, sei die Predigt der Reformation vor allem deshalb gewesen, weil sie den Antiklerikalismus der theologisch Ungebildeten bedient habe.
Im schalieren/ außholihippen/ schmähen/ schänden vnd lästern müssen wir Catholische Prediger/ den Sectischen Predicanten gewunnen geben/ denn mennicklich bekandt ist/ daß sie in diser vnrühmlichen Kunst/ gewaltige Meister seyen/ vnnd es in solcher dem Teuffel selber weit beuorthun.10
Der Teufel war schnell bei der Hand, nicht nur, wenn es um Luther ging, sondern auch um die, welche seine Lehre weitertrugen. Besser als der Teufel zu sein, um ungebildeten Christen die Autorität der Kirche abspenstig zu machen: Darin sahen die katholischen Kontroverstheologen den Wettbewerbsvorteil jener Super-Häresie, der sie sich erwehren wollten.
Luthers Entscheidung, die Schrift allein als Norm kirchlichen Lebens gelten zu lassen, die neben der Schrift quasi kanonischen Traditionsbestände der Kirche aber als unbedingt gültige Richtschnur christlichen Lebens zu verwerfen, provozierte den Vorwurf der Beliebigkeit. Wer die Schrift nicht in und mit der Tradition der Kirche auslege, begebe sich in einen heillosen Subjektivismus. Auch dieses Argument war keineswegs neu, sondern schon in der Spätantike gegen abweichende Glaubensmeinungen vorgetragen worden: gegen die Donatisten, gegen die Arianer, gegen die Pelagianer, gegen die Manichäer und andere. Schriftauslegung außerhalb des kirchlichen Konsenses führe in einen schrankenlosen Subjektivismus. Darin setzte Luther die Grundeigenschaft aller bisherigen Ketzerei fort. Für den Teufel war das ein seit alters her beliebtes Mittel, die Kirche Christi zu zerstören. Zwiespalt und Zertrennung seien das, woran man in der Häresie das Wirken des Teufels besonders deutlich erkennen könne. So kamen den Altgläubigen die Bekenntnisrisse zwischen Lutheranern und Reformierten ebenso zupass wie die schweren Bekenntniskämpfe, die das Luthertum bis zur Einigung in Konkordienformel (1577) und Konkordienbuch (1588) intern ausfocht:
So befindet sich doch/ das auß diesen wenig Worten/ vnder den Zwinglianern wol zehn Rotten/ unnd Secten gewachsen seind/ wie der Ketzenmeister Martin Luther selbs bekennet/ vnd bezeuget. Libro 1.contra Zwingl: alle Ketzer/ suchen jhre Jrrthumb/ auß der heiligen Schrifft zu bescheinen/ vnd zuverthedigen/ aber nicht nach dem Verstand der Kirchen/ oder deß heiligen Geists/ sonder nach ihrer Eygensinnigkeit/ unnd Fürwitz. Also wolte vorzeiten der Ketzer Arrius, Christus wehre seinem Vatter nicht gleich/ nach seiner Gottheit. Darumb schrie er. Verbum verbum/ das Wott Gottes/ das wort Euangelium/ Euangelium. Er wolt Athanasius solt ihme zeigen/ wo doch das wort Homousion (das ist einer Substantz/ vnnd gleiches Wesens/ so Christus mit dem Vatter hat) im Euangelio gefunden würde/ darumb das er ausserhalb der Schrifft nichts annemmen wolt. Also thun zu vnserer Zeit die Ketzer auch. Es ist auch nit daran gelegen/ das man eine gantzen hauffen Zeugnuß/ vnd Allegationes auß der Schrifft herfür bringe/ dann auch der Teuffel die Schrifft allegiert hat/ wider Christum/ aber bößlich/ und vbel. Sonder man muß auff den rechten Verstandt achtung geben.11
Spiegelbildlich zur lutherischen Verdammung der Altgläubigen als einer Kirche des Antichrists wurde nun auch hier mit absoluten Entgegensetzungen gearbeitet: Schriftauslegungen der Reformatoren konnten noch so viel Christentum enthalten – das galt als nichts denn Verführungsrhetorik in apokalyptischen Zeitläuften, in denen der Teufel die Oberhand zu gewinnen schien.
Hier begann man um 1600 auch das Erfolgsmodell der lutherischen Hausfrömmigkeit zu fürchten. Die Medienexplosion des evangelischen Buchmarktes hatte Luthers Traktate, Katechismen, Lieddichtungen und Predigten in der wachsenden Gruppe der lesefähigen Bürgerlichen, im Adel und unter den Eliten der Landbevölkerung massenhaft verbreitet. In halb institutionalisierten Formen kam dem evangelischen Hausgottesdienst eine enorme Bedeutung für die Festigung des lutherischen Konfessionsbewusstseins zu.12 Als ‚riskant‘ im konfessionspolitischen Sinn galt altgläubigen Kontroverstheologen vor allem die informelle Verbindung zwischen Hausfrömmigkeit und amtlich ordinierter evangelischer Lehre. Ein Hausvater, der sein im Glauben wankend gewordenes Familienmitglied zu einem evangelischen Prediger um „Lehr vnd Vnterweisung“ schickte, begehe eine irreparable Verantwortungslosigkeit, denn
welcher hie fählet/ vnnd etwa an statt eines Christlichen Seelsorgers vnd Euangelischen Predigers einen reissenden Wolff vnd falschen Propheten/ an statt eines Engels deß Liechts/ einen der Finsternuß/ das ist/ den lebendigen Teuffel selbst/ gleichwol in einer andern/ vnnd vielleicht einer Sectischen Predicanten gestalt/ wie es leichtlich geschehen kan/ antrifft/ hat ein jedweder leichtlich zuermessen/ daß ein solcher Wust fähl geschossen vnnd zu Erkantnuß der Warheit nimmermehr kommen würde.13
Im evangelischen Prädikanten, der Luther folgte, begegnete man dem Leibhaftigen schlechthin. Der Teufel, so die dahinter liegende Angst, hatte seine Strategie auch nach Luthers Tod auf Dauer angelegt.
Messe, Opfer, Heilsgewinn
Ein zweites Feld, das der Teufel mit Luthers Hilfe kräftig beackerte, war die Theologie der Sakramente. Keines unter ihnen war bedeutsamer als die Messe. Sie wurde verstanden als unblutige Repräsentation und Vergegenwärtigung, nicht eigentlich als Wiederholung des Kreuzesopfers Christi, wie oft unterstellt wird. Aber der spezifische und nachreformatorisch nachdrücklich gelehrte Opfercharakter der Messe war von größter Bedeutung. Denn eben dies stellte sicher, dass gläubige Mitglieder der wahren katholischen Kirche der Gnadenfrüchte dieses Selbstopfers Christi am Kreuz auch wirklich teilhaftig wurden. Was konnte der Teufel also Teuflischeres ersinnen, als einen Theologen, der für hunderttausende Christen den Opfercharakter der Messe bestritt, ja eine Abendmahlshandlung einführte, die sich aus dem Heilszusammenhang der Kirche herauslöste und damit als sakramentaler Gnadenkanal zur zeitlichen Wohlfahrt und ewigen Erlösung unwirksam wurde? „Von weme oder woher Luther sein Lehr vnd Glauben wider die HEyligen Meß bekommen habe/ wer hierinnen sein Lehrmaister gewesen sey/ woher sein anfang wider die Meß komme“, wollte der Bamberger Domkapitular und Prediger Jakob Feucht genau wissen.14 Er stützte sich dabei auf Aussagen Luthers selbst, die er aber in einer bemerkenswerten Weise verfremdete. Er inszeniert Luthers Verwerfung der Messe als Ergebnis einer nächtlichen Unterredung mit dem Teufel.
Der Teufel ist eben der recht Gesell/ so noch auff den heutigen Tag die Heylige Meß/ vnd den gantzen Catholischen Glauben verfolget/ durch sich vnd seinen Anhang. Der Teufel/ spricht Luther/ sey in der Nacht zuo jhme kommen/ habe jhn auß dem Schlaff erwecket/ vnd mit jhme von/ vnd wider die Meß angefangen disputiern/ vnd gesagt: Die Meß sey nit recht/ sie sey ein Abgötterey/ etc. Vnnd endtlich/ habe der Teufel jn Luther vberwunden/ vnd dahin beredet/ daß er habe angefangen wider die (heylige) Meß zuschreiben/ schreyen vnd lehren/ etc. Vnd weitter bekennt Luther: Er habe mit dem Teuffel so guote Kundtschafft gehabt/ also/ daß er mehr als nur ein Saltzscheiben mit jme auffgefressen habe/ etc.15
Liest man in Luthers eigenem Text nach – was angesichts der genauen Zitierweise der Predigtautoren kein Problem ist – wird rasch klar, was Luther eigentlich sagen wollte: Diese Begegnungen mit dem Teufel, von denen sein Leben bedrohlich reich war, fanden statt, als er als junger Priestermönch mit der Eucharistielehre der spätmittelalterlichen Kirche rang. Der Teufel, so Luther, ist immer ein Lügner, aber er sagt ausgerechnet dann die Wahrheit, wenn er einen frommen Gläubigen verunsichern und zur Verzweiflung treiben will.16 Die Argumente, mit denen der Teufel die Winkelmesse17 angreift, sind folglich in Luthers Augen die Wahrheit. Auch bei Luther geht es da um die letzten Fragen der Heilsmedialität – um die überkommene Behauptung, die Winkelmesse sei ein Beitrag zur Erlösung. Der Teufel betrüge nicht dadurch, sagt Luther, dass er die Unwahrheit sage, sondern dass er das geängstigte Gewissen die Wahrheit sehen lasse und eben dadurch in die Verzweiflung treibe.
Diese komplexe Argumentation interessierte den katholischen Prediger gerade nicht, als er beschrieb, wie es zum reformatorischen Angriff auf die unbedingt wirksamen Heilsmittel der Kirche kommen konnte:
Nun habt jr Lutherischen die Antwort/ woher vnnd von weme der vrsprung vnd anfang dieser Lehr (die Meß sey kein Opffer) euch komme/ nämlich von einem außgesprungnen Mönch dem Luther: Woher aber er solche bekommen/ bekennt er selbst/ nemblich vom Teuffel.18
Daraus, so der Appell an katholische und evangelische Hörer und Leser, könne nur eine Konsequenz gezogen werden: Die Abwendung von einem Theologen Martin Luther, der Tischgenosse Lucifers sei:
Wilt du jetzund lieber Christ dem Luther vnd seinem Tisch vnnd disputier Gesellen dem Lucifer/ mehr dan der gantzen heyligen Christlichen Kirchen glauben/ vnd also muotwilliger weiß verfüret vnd verdampt/ vnd auch ein Tischgesell deß Luthers vnd Lucifers werden/ so magst du es thuon.
Wer sich mit Luther einlässt, lässt sich mit dem Teufel ein, der „ein brüllender Löw/ ein stätter Feind Christi/ vnd des Christlichen Glaubens“ ist, „jederzeit begirig vns in Abgrund der Höllen zustürtzen“. Weil Luther dem Teufel in der Absicht folge, den Seelen ihre Seligkeit zu missgönnen, markiere er den Kern katholischen Heilsverständnisses, das „Götlich Werck vnnd Versönopffer“ als „Abgötterey“.
Alltagsmoral, Frömmigkeitskrise, Jüngstes Gericht
Martin Luther war davon ausgegangen, die von allem ‚Papsttum‘ gereinigte evangelische Predigt des reinen Wortes Gottes werde nicht nur die Kirche, sondern auch die Christenheit als Ganze von Grund auf erneuern, werde nicht nur die Gemeinden, sondern auch die Familien, die Gesellschaft und die Politik substanziell verchristlichen. Denn das reine Wort Gottes sei das Mittel schlechthin, dem Teufel wirksam zu wehren, soviel Verführungsmacht ihm auch in einer Spätzeit der Welt würde zugetraut werden müssen. Luther hat in diesem Punkt herbe Enttäuschungen verarbeiten müssen, und er hat sie mit gewohnter Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht.
Nichts war geeigneter für konfessionelle Delegitimierung, als Luther gegen sich selbst sprechen zu lassen. Der Reformator hatte interne Fehlentwicklungen korrigieren und mit seiner internen Kritik an den lutherischen Durchschnittsgemeinden deutlich machen wollen, dass ein Großteil der Laien die neu gewonnene Freiheit vom Papsttum ‚fleischlich‘ verstand, also zwar alle vermeintlichen Bürden des römischen Katholizismus abwarf, sich aber dem Wort Gottes und der darin geforderten Buß- und Umkehrbereitschaft nicht unterwarf.
Genau diese interne Kritik wurde nun gegen die Reformation als solche ins Feld geführt: Es sei ja kein Wunder, dass die von den Häretikern verführten Laien sich so verhielten, wenn man ihnen vorgaukele, man könne allein aus Glauben und ohne fromme Werke selig werden. Beißender Spott sollte den Selbstanspruch, popularisiert im Kirchenlied, mit Eingeständnissen des Ungenügens kontrastieren. „Was hat diser verflucht Baum für Frucht gebracht?“, fragte der Jesuit Georg Scherer in einer Predigt über Mt 7,15-23:
Die Lutherischen singen zwar: Das Landt bringt frucht vnnd bessert sich/ dein Wort ist wol gerathen: Aber man sehe sich vmb in allen Landen/ so wirdt sichs augenscheinlich vnd handtgreifflich finden/ was für hertzige Früchtlein auß dem Lutherumb erwachsen/ Dauon Luther selber hat schreiben vnd zeugen müssen.
Jetzt seind die Leut/ sagt Luther/ mit siben Teuffeln besessen/ da sie zuuor mit einem Teuffel besessern waren/ Der Teuffel fehret jetzt mit hauffen in die Leute/ daß sie nun vnder dem hellen Liecht deß Euangelij/ seind geitziger/ listiger/ fortheilischer/ vnbarmhertziger/ vnzüchtiger/ frecher und ärger/ denn zuuor vnder dem Bapstumb.19
Luther selbst müsse bezeugen, dass überall dort, wo seine Lehre wirke, nicht etwa das Reich Christi, sondern das Sündenbabel des Teufels Fortschritte mache. Man legte Wert darauf, dieses Zitat – und nachfolgend eine ganze Reihe weiterer – mit genauen Quellenbelegen als Originalzitat ausweisen zu können: „Luther in seiner Hauspostill vber den 3. Sonntag deß Aduents jn der ersten Predig“, hielt die Randglosse fest.
Katholische Prediger glaubten, die Ursache dieses Desasters genau angeben zu können. Wer die Rechtfertigung allein aus Gnade (sola gratia) und allein durch den Glauben (sola fide) predige, der dürfe sich nicht wundern, wenn die Menschen lau in ihren christlichen Überzeugungen und lax in ihrem Alltagsverhalten würden. Es sei Luthers Rechtfertigungslehre, welche das ‚Epikuräertum‘ fördere: die geschworene Feindschaft gegen eindringliche Ermahnungen zu ernsthaftem Christentum, eine Haltung, die nicht glauben möge, dass die Hölle wirklich heiß sei. Jetzt gelte es, dieses Leben nach den Spielregeln alltäglicher Sozialität zu leben und dessen Annehmlichkeiten zu genießen, mitzunehmen, was man kriegen könne. Den Kopf hängen lassen, das sei etwas für Frömmler und Alte. Den Nacken vor Gottes Gericht beugen und sich seiner Barmherzigkeit anvertrauen: das könne man auf dem Sterbebett immer noch.
Der Verdacht, der Luthers Gnadentheologie hier trifft, ist polemisch unzutreffend.20 Luther selbst hatte ja keineswegs eine schläfrige Religion empfohlen, die auf eine angelische Erlösung der Lauen vertraute. Und die Moralisierung der evangelischen Predigt hatte mit großer Schärfe auf den Eindruck geantwortet, unter den Laien habe sich eine ‚epikuräische‘ Haltung breitgemacht, die Gottes Gebot nicht in ihr Leben zu integrieren bereit war.21 Ungeachtet dessen: Luther verkam in den katholischen Predigten zu einer Unfigur des Laxismus. Und gerade darin war er ein Werk des Teufels, der wahres Christentum erkaltet sehen wollte. Gerade im Hinblick auf das fromme Leben und dessen Kennzeichen – Gebet, Fasten und Almosen – habe die Reformation „gleich das Kind mit dem Badt außgeschüttet/ vnd mit dem Mißbrauch/ auch den rechten Christlichen Brauch […] abgethan.“22
O wol ein schöne Reformation ist mir aber das? Es sol euch billich die gantze Christenheit mit dem Teuffel darfür dancken. Jhr habt euch ja im Anfang berümpt (gleichwol euch auch niemand zu Reformation bestelt/ sondern jr euch selber eyngedrungen habt) daß jhr nur das Böß in der Kirchen abthut/ vnd das Gut steh[en] wolt lassen: Jetzo aber bekennet jhr von freyen Stücken selbst/ vnnd wann jhrs gleich nit bekennet/ so ligt es doch für sich selbst am Tag/ wie der Bawr an der Sonnen/ daß dieser ewer Ruhm erlogen ist/ der biß in Himmel hinauff stincket/ dieweil jr eins mit dem andern vmbgerissen […].23
Hier zeigt sich, wie eng der katholische Predigt-Diskurs mit kritisch-sensiblen Wahrnehmungen dessen verknüpft war, was je tagesaktuell im Protestantismus verhandelt wurde: die später als ‚Frömmigkeitskrise‘ rekonstruierte Sorge um eine verinnerlichte Praxis der Idee Luthers von der „Freiheit eines Christenmenschen“24, die eine tiefe Verunsicherung über die erwartete Wirkung des rein gepredigten Wortes Gottes auslöste, und dagegen die reformierte Überbietungsrhetorik von der ‚Reformation des Lebens‘, die der unvollständig gebliebenen ‚Reformation der Lehre‘ nachfolgen müsse.25 Auch in Fragen der Alltagsmoral, so die Ausmünzung, waren dem Teufel für die Schwächungen und Entzweiungen der Kirche die Adepten Luthers ebenso nützlich wie dieser selbst.
Luther verteufeln, Katholiken mobilisieren
Unabweisbar stellt sich die Frage, warum dieser enorme Aufwand getrieben werden musste. Es ist nach allem, was wir wissen, nicht sehr wahrscheinlich, dass katholische Luther-Verteufelungen von einer großen Zahl von Lutheranern gehört worden wären. Und ebenso unwahrscheinlich ist, dass daraus massenhafte Bekehrungen folgten. Martin Luther in Predigten anzufechten, wie stringent theologisch oder drastisch beschimpfend auch immer, mochte eine innerlich zutiefst überzeugende, äußerlich aber doch begrenzt effektive Lebensaufgabe sein. Die unaufhörlich adressierten einfachen Gläubigen, die man in die Fänge der ‚sektischen Prädikanten‘ geraten sah, erreichte man durch keine noch so lautstarke Predigt, sei sie gehalten oder gedruckt. Zwischen der Mitte des 16. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts verschoben sich die konfessionellen Grenzlinien kaum noch. Strikte Zensur und Kontrolle des Buchmarktes verhinderten, dass Unberufene zu lesen bekamen, was ihre religiöse Identität erschüttern mochte. Nur in sehr begrenzten Räumen, in den bikonfessionellen Reichsstädten und in den Begegnungszonen kleinkammeriger Territorien zum Beispiel, trafen Katholiken und Protestanten direkt aufeinander. Mehr- und Transkonfessionalität ist ein die Konfessionalisierungsthese herausforderndes Thema geworden, und so ist zunehmend umstritten, wie häufig und wie intensiv Menschen verschiedener Konfessionen einander tatsächlich begegneten, einerseits im durch konfessionelle Friedensschlüsse sorgfältig austarierten Reich, andererseits in den oft komplexeren Gemengelagen Europas. Es ist auch nicht eindeutig, unter welchen Umständen solche Begegnungen konfessionell heiß oder pragmatisch kühl verliefen. Für die Wirkungsgeschichte einer Bedrohungskommunikation in Predigten ist das sehr relevant: Denn nur in solchen Räumen konnte Kontroverstheologie, die Anhänger Luthers überzeugen sollte, überhaupt eine Kommunikation unter Anwesenden werden.26 Eine entscheidende, der Wirkmacht der Predigt gezogene Grenze jedoch ist Konsens in der Forschung: Das Häuflein der Konvertiten war nur in seltenen Fällen prominent und spektakulär, ansonsten klein und angefochten. Drastische Rekatholisierungsstrategien erwiesen sich als umso erfolgloser, je später sie unternommen wurden.27
Daraus folgt: Haupt-Adressaten einer Verteufelung Luthers waren nicht die Parteigänger Luthers, sondern die Gefolgsleute des Papstes selbst. Man plakatierte die schrecklichen sozialen Folgen der Häresie nicht ohne Blick auf die eigene Klientel:
Da hören wir nun auß Luthers eygnen mund/ von den früchten seiner Lehr/ welche seind vnnd heissen/ Geitz/ list/ betrug/ vnbarmhertzigkeit vnzucht/ frechheit/ hoffart/ pracht/ scharren/ schinden/ schaben/ kratzen/ stelen/ rauben/ wucheren/ bawrenkrieg/ trennung/ secten/ vngehorsam/ auffhebung guter zucht vnnd ordnung/ zaumlosigkeit/ siben Teuffel für einen/ weder Höll noch Fegfewer förchten/ vnnd was deß dings mehr ist.28
Die dramatisierende Darstellung teuflisch bedrohter Ordnung war nicht nur Resultat unmittelbarer Auseinandersetzung mit einer gegebenen konfessionspolitischen Lage, sondern auch beeinflusst von kulturellen Schemata ihrer Deutung. Martin Luther zu verteufeln hieß auch, den Aufbau einer katholischen Konfessionsidentität zu managen und die eigenen Gläubigen durch Abgrenzung vom Bösen zu mobilisieren. Nicht nur das soziale Gefüge, sondern auch das religiöse Handlungsfeld musste neu geordnet werden; Societas christiana und ecclesia wurden miteinander konstituiert oder destabilisiert. Wenn vom jenseitigen Los der Häretiker die Rede war, dann sollten sich auch alle diejenigen angesprochen fühlen, die sich ihnen in Überzeugungen und Verhaltensweisen annäherten:
Wollan/ was wollen die verdampten nach disem erschröckenlichen Vrtheil anfangen? Sie können von disem Gericht nit weiter appellieren/ so lasset sich diser Richter nit mit Gelt bestechen/ der einmal ergangen Sententz bleibt vnwiderruflich/ da hilfft kein Fürbitt/ da gilt kein entschuldigung/ Cicero, Demosthenes, vnd dergleichen Oratores vnd Redner werden verstummen/ Platonis Weißheit vnd Aristotelis Spitzfindigkeit werden zerrinnen vnd verschwinden. Summa wo sich die Verdampten hinwenden/ finden sie weder rath/ hilff noch trost/ vber jhren Köpffen ist der gestrenge Richter/ vnder jhren Füssen ist den Höllenschlundt/ in jhren Gewissen ist der nagendt Wurmm/ hinder jnen stehen die schwartzen Teuffel mit glüenden Ketten/ sie an Händen vnn Füssen zu binden/ vnd in den Abgrund der Höllen zuschleppen/ Auß jhrem abschewlichen Rachen speyen dise Teuffel Fewer vnd Flammen herfür/ wie S. Basilius schreibt/ vber den 33. Psalm/ Da höret man nichts anders/ als daß die Verdampten Weinen vnnd Heulen/ Ach vnd Wehe/ Zetter vnd Mordio schreyen/ Da ist nichts anders als Zittern/ Zagen/ Verzweifflen/ Knirschen oder Grißgramen der Zänen/ vnträglicher Gestanck/ greifliche Finsternuß/ vnsäglicher Schmertz/ spate Rhew/ etc.29
Das hätte man nicht in so drastischen rhetorischen Figuren ausmalen müssen, wenn nicht die Bedrohung durch Martin Luther und das, was als evangelische Kirche aus ihm geworden war, und die Bedrohung im Endgericht in einem Zusammenhang gestanden hätten, der nur auf den ersten Blick indirekt erscheint: Der anti-lutherische Diskurs sollte ganz allgemein und ganz alltäglich gute Katholiken formen. Je plastischer man ausmalte, wer Luther und wie Lutheraner waren, umso luzider konnte man das Gegenbild des ‚wahren Christen‘ ausleuchten. Christus und der Teufel: um nicht weniger ging es.
Luther, der Teufel oder: Luther, das Werkzeug des Teufels?
Nein, Luther ist nicht der Teufel – jedenfalls nicht durchgängig, nicht einmal vorrangig. Folgt man Bellarmin, mit dem hier begonnen wurde, dann war der Abstand allerdings nicht groß. Er berichtete von einem Versuch Luthers, einen Besessenen zu heilen. Die Macht, Dämonen auszutreiben wie Jesus selbst – das war seit der Kirche der Antike das Merkmal des vir Dei, des ob seiner Tugend und Askese mit besonderer virtus ausgestatteten Gottesmannes.30 Und ausgerechnet hier, so will es Bellarmin, scheiterte Luther kläglich:
Es hat sich zwar Lutherus der thewer Mann auch wollen Gelüsten lassen ein Teuffel außzutreiben/ aber wie Staphylus sein Jünger vnd gegenwertiger Zuseher zeugt/ solt Luther ehe auß der Sacristey/ ja auß seinen Hosen getrieben worden seyn. Dann es zimbt sich nit daß ein Teuffel den andern/ ein Gesell den andern vertriebe/ vnd die auffgerichte Freundschafft breche.31
Es ist bemerkenswert, dass das eine rhetorische Ausnahme ist. Luther ist nicht der Teufel, gerade weil man den Teufel sehr fürchtet im 16. und 17. Jahrhundert. Den Teufel mit nur einer historischen Gestalt zu identifizieren, hieße ihn klein zu machen. Nein, der Teufel ist mächtig, weil er listig, verschlagen, und vor allem vielgestaltig ist. Macht gewinnt er über viele, statt sich in einem zu verkörpern. Der Teufel ist ein Akteur, seine Werkzeuge sind Marionetten. Darum ist Luther ein Instrument des Teufels. Mehr will man ihm dann doch nicht zugestehen.
Vor dem Hintergrund des Zweiten Vatikanischen Konzils und angesichts der seitherigen ökumenischen Bemühungen32 hat die Befassung mit diesen Kommunikationen der Bedrohung durch den häretischen Gegner etwas Quälendes: Warum dieser enorme rhetorische Aufwand? Zwischen Konsens-Ökumene und versöhnter Verschiedenheit ist leicht zu vergessen, wie ernst es Katholiken mit der Verteufelung Martin Luthers war und wie überzeugt Evangelische gegen ‚Papisterey‘ und ‚Abgötterey‘ fochten und gegen den widergöttlichen apokalyptischen ‚Antichrist‘, den sie in alledem zu erblicken meinten. Weder in den heißen, aggressiven Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts noch in der kühlen, distanzierten Abwertung, die in den alltäglichen Vermeidungsstrategien des 20. Jahrhunderts steckte, gab man einander bei der konfessionellen Verketzerung wechselseitig Pardon. Man wäre dankbar, im Kontext des Reformationsjubiläums 2017 nicht einmal mehr Anklänge an das zu lesen und zu hören, was in routiniert aktualisierter Bedrohungskommunikation Anlass und Material gegenseitiger Verachtung war.
1 WA TR 5, Nr. 5677, S. 317¹²–318³.
2 Roper 2012. Zu dieser ironischen Selbstbezeichnung Luthers wenige Tage vor seinem Tod siehe Oberman 1982, S. 13.
3 Vgl. Oberman 1982, S. 11–16.
4 Bellarmino 1616, S. 518–526, hier S. 526 (weitere Auflagen bis 1650). Zum Autor siehe Dietrich 2006; Galeota 1993. Grundlagenwerke der Kontroverstheologie wurden Bellarmins Disputationes de controversiis christianae fidei adversus hujus temporis haereticos,die 1586–1593 in drei, später in vier Bänden in Ingolstadt und Venedig erschienen. Jüngere Literatur: Schubert 2015; Tutino 2012; Tutino 2010; Alácsi 2009; Motta 2005; Godman 2000; Dietrich 1999. Jüngere Editionen: Bellarmino 2012; Wollbold 2008.
5 Vgl. Angenendt 1994, S. 102–122.
6 Zur jüngeren Predigtforschung siehe in Auswahl, chronologisch absteigend: Kirby/Stanwood 2014; Michelson 2013; Conrad/Weeber 2012; McCullough 2011; Frymire 2010; Hunt 2010; Kienzle 2000; Eybl 2007; Beutel 2003; Norman 1998; Martina/Dovere 1996; Welzig 1995; Herzog 1991; Eybl 1991; Moser-Rath 1991; Welzig 1984/1987.
7 Vgl. Holzem 2015.
8 Vgl. Holzem 2017.
9 Etliche Christliche Regeln für die Prediger, in: Scherer 1611, o. P. [S. 5] (zahlreiche Nachdrucke bis 1650).
10 Ebd., [S. 5f.].
11 „Am sechsten Sonntag nach Ostern/ Andere Predig. Thema. Vnd jhr werdet auch zeugen: dan jhr seyt von Anfang bey mir gewesen. Joannis am 15.“ [Joh 15,18–27], in: Seelos 1618, S. 373.
12 Vgl. Holzem 2015a, Bd. 1, S. 473–535. Hier detaillierte theologie‑, frömmigkeits- und sozialgeschichtliche Informationen zu vielen weiteren Aspekten der folgenden Überlegungen; dies wird im Folgenden nur an wenigen Stellen eigens aufgeführt. Vgl. allgemein zu den hiesigen Fragestellungen insbesondere in Bd. 1 die Kapitel 3 (S. 143–317) und 4 (S. 319–559) sowie die Register.
13 „Die dritte Predig vber den dritten Sontag deß Aduents“ [Mt 11,2–6], in: Eisengrein 1601, S. 70–81, hier S. 71.
14 Feucht 1600, S. 232f.
15 Ebd.
16 Vgl. Luther 1572, Bl. 445 v u. 446 r.
17 Stille Messen, die der Priester allein ohne Gemeinde hält, vor allem im Dienst der Totenmemoria.
18 Feucht 1600, S. 233f. Die folgenden Zitate ebd., S. 234f. u. 237.
19 Predigt „Am achten Sontag nach der H. Dreyfaltigkeit/ Euangelium Matt. am 7. Cap.“ [Mt 7,15–21], in: Scherer 1611, S. 708 [fälschl. 672].
20 Vgl. Hamm 2010, S. 65–114 u. 164–182; Korsch 2005; Pesch 2004, S. 131–151 u. 174–226.
21 Zur Debatte um die ‚Frömmigkeitskrise‘ um 1600 siehe Holzem 2015a, S. 480–483 u. 510–524.
22 „Die fünffte Predig am heiligen Christag“, in: Eisengrein 1601, S. 194. Bezeichnend bereits das thematische Summarium: „I. Daß nicht ein jed wederer/ so glaubet/ wie Christus eyn allgemeiner Heylandt der gantzen Welt sey/ allein vmb dieses Glaubens willen/ von Verzeyhung seiner Sünd/ vnnd GOttes Gnad/ dermassen versichert vnd gewiß werde/ daß es jhme nicht fählen köndte. II. Was für schöne Früchtlein auß dieser Lehr gefolgt/ daß der mensch allein durch den Glauben an CHRistum/ vnnd sonst durch kein andere Mittel Verzeyhung der Sünden erlangen müsse vnd solle.“ Ebd., S. 182.
23 Ebd., S. 194.
24 Vgl. WA 7, S. 12–38. Vgl. Leppin 2016; Leppin 2016a, S. 135–138. Pesch 2004, S. 198–211; Kaufmann 2009, S. 282-286; Hamm 2010, S. 164–199.
25 Zu Begriff und Debatte siehe Albrecht-Birkner 2002; Menk 1986; Press 1986; Rudersdorf 1986; Schilling 1986; Schmidt 1986.
26 Vgl. Schlögl 2014, S. 61–66, 74–76, 209–214, 220–223 u. 230–245.
27 Zur Debatte über Bi- und Transkonfessionalität, Konversion und Indifferentismus (mit jeweils einschlägiger Literatur) siehe: Holzem 2015a, S. 535–548, 557–559 u. 820–825; Holzem 2015, S. 102–113; Blum 2015; Ehrenpreis 2013; Safley 2011; Wandel 2006.
28 „Am achten Sontag nach der H. Dreyfaltigkeit“, in: Scherer 1611, S. 709.
29 „Die ander Predig am andern Sontag deß Aduents“, in: Scherer 1611, S. 47.
30 Vgl. Angenendt 1994, S. 69–88.
31 Bellarmino 1616, S. 38.
32 Vgl. Pesch 2011, S. 209–237; Hilberath 2005; Hilberath/Holzem/Leppin 2016.
Zitierempfehlung: Andreas Holzem: Luther, der Teufel oder: Luther, das Werkzeug des Teufels? Martin Luther in katholischen Kontroverspredigten um 1600. In: Luthermania – Ansichten einer Kultfigur. Virtuelle Ausstellung der Herzog August Bibliothek im Rahmen des Forschungsverbundes Marbach Weimar Wolfenbüttel 2017. Format: text/html. Online: http://www.luthermania.de/exhibits/show/hole-roessler-luther-die-marke [Stand: Zugriffsdatum].