Luther gegen Papst und Türken

Ein Lied erhalt uns Herr bei deinem Wort

Im Anschluss an den Schmalkaldischen Krieg (1546–1547) ist auf dem Blatt in Lied und Gebet eine Bitte um göttlichen Beistand für die bedrängte evangelische Christenheit formuliert.

Der schablonenkolorierte Holzschnitt setzt das protestantische Kampflied Erhalt vns Herr bey deinem Wort, dessen erste drei Strophen von Luther und dessen zwei Zusatzstrophen von Justus Jonas (1493–1555) stammen (Kolde 1908), ins Bild um. Er ist in eine himmlische und eine irdische Ebene gegliedert, die ihrerseits in drei Abschnitte aufgeteilt sind. Oben links thront mit der Weltkugel auf den Knien Gottvater auf einem Regenbogen und weist mit der Linken auf seinen Sohn, der als Weltenrichter mit der Lilie der Gnade und dem strafenden Schwert dargestellt ist. Auf der rechten Seite schließt sich die Taube des Heiligen Geistes an. Jede der trinitarischen Personen ist von einer Wolkenkorona umgeben und von einem Strahlenkranz hinterfangen.

Auf der unteren Ebene steht links unter der Führung Luthers, der auf den im Himmel thronenden Christus deutet, eine Gruppe von Reformatoren und Fürsten. Sie sind aufgrund ihrer porträthaft ausgeführten Physiognomie als Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567), als Johann Friedrich von Sachsen (1503–1554), Caspar Cruciger d. Ä. (1504–1548), Philipp Melanchthon (1497–1560) und Jan Hus (um 1370–1415) auszumachen. Auf der gegenüberliegenden Seite gruppieren sich fünf höfisch gekleidete Frauen um ein Paar mit zwei betenden Kindern. Die vorderste Dame lässt sich als Herzogin Sibylle von Cleve (1512–1554), die Gemahlin Johann Friedrichs von Sachsen, identifizieren. Die beiden protestantischen Gruppen stehen auf zwei natürlichen Plateaus, zwischen deren jähen Abbruchkanten sich eine Senke mit einer offenen Grube erstreckt. In diese Grube, die zwei Teufel als Höllenschlund kenntlich machen, stürzen Vertreter des katholischen Klerus und ein Türke. Die verwirrende, unruhige Darstellung dieser Szene zeugt von der Verzweiflung der heftig gestikulierenden Verdammten und steht im Kontrast zu der glaubenssicheren, gelassenen Statuarik der Protestanten. Zwei Bäumchen mit je zur Hälfte belaubten und abgestorbenen Ästen markieren die Grenze zwischen den Gruppen und symbolisieren – allerdings unter versehentlich vertauschter Zuordnung – Gnade und Heil auf der evangelischen Seite sowie Tod und Verdammnis bei den Katholiken und Heiden.

Der Text des Blattes ist in Typendruck gesetzt. Der Titel kündigt das Lied Erhalt vns Herr bey deinem Wort sowie ein inhaltlich darauf bezogenes Gebet an die Dreifaltigkeit an, als dessen Autor der „M[agister] Leonardu[s] Jacobi“ (um 1515– nach 1570) aus Nordhausen in seiner beruflichen Stellung als „Caplan zu Calbe“ angegeben ist. Unter dem Bild sind die fünf Strophen des Liedes wiedergegeben. Während die ersten drei Strophen mit ihrer Hinwendung an die trinitarischen Personen in der himmlischen Sphäre des Bildes illustriert werden, finden die beiden Schlussstrophen auf der unteren Ebene ihre Entsprechung: Die Bitte „vnd stürtze sie [die Feinde der Christenheit] jnn die gruben ein“ ist vom Formschneider im Moment ihrer Erfüllung vorgeführt. Dass die Gottesfeinde dabei „erkennen doch/ das du vnser Got lebest noch“, ist möglicherweise durch die zum Himmel weisende Geste des Türken und den auf Luther zeigenden Bischof angedeutet. Und die gelassene Ruhe der Protestanten im Bild korrespondiert mit dem Schlusssatz über die Schar der Gläubigen, „[d]ie sich auff dich [Gott] Vorlesset gar“.

Das dreiteilige Gebet führt die Bitten, die in den ersten drei Strophen des Liedes an die Trinität gerichtet werden, weiter aus. Die Anreden „du Got alles trostes“ und „Heiliger Geist/ du werder Tröster“ geben zu erkennen, dass die betende Person des Zuspruchs und der Hilfe Gottes bedarf. Die Ursache der Trostbedürftigkeit wird in jedem der drei Teile angesprochen und liegt in der „Tyrannei Des Türcken vnd des Bapst[es]“.

Das Blatt ist undatiert, doch lässt sich der Zeitpunkt seines Erscheinens ziemlich genau bestimmen. Da das Gesicht Johann Friedrichs von Sachsen bereits die Narbe aufweist, die von einer Verwundung in der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 herrührte, ist ein Terminus post quem gegeben. Auf der anderen Seite ist die Darstellung Melanchthons als Autorität der Reformation auf einem Magdeburger Flugblatt nur bis zum Frühjahr 1549 denkbar, als die heftige Kontroverse um das Leipziger Interim zwischen Magdeburg und Wittenberg einsetzte. Nimmt man hinzu, dass Luthers Kampflied nach der Niederlage der Schmalkaldener eine so große Popularität gewann, dass es in etlichen Städten in den Jahren 1547/48 zu singen verboten wurde (Harms/Schilling/Wang 1980, Nr. 6), ist eine Datierung des Blattes um 1548 wahrscheinlich (vgl. Kaufmann 2003, S. 412–418, bes. 413f.). Diese zeitliche Einordnung kommt damit überein, dass der Autor des Gebets Leonhard Jacobi 1547 seine Stelle an der Magdeburger Ulrichskirche verließ, um in Calbe das Amt des Kaplans zu übernehmen, als der er auf dem Blatt unterzeichnet hat.

Der Drucker und Briefmaler Pankraz Kempff (nachweisbar 1548–1570) verlegte sich mit seiner Offizin auf die Herstellung von Kleinschrifttum. Er beteiligte sich mit mehreren Flugblättern am publizistischen Kampf gegen das Interim und brachte einige Neue Zeitungen heraus. Die von ihm gefertigten Holzschnitte weisen eine große Nähe zu den Graphiken der Cranach-Werkstatt auf. Diese Nähe ist auch auf dem vorliegenden Blatt zu erkennen. Zum einen greifen die Porträts auf Wittenberger Vorlagen zurück. Zum andern stimmt die adlerähnliche Heilig-Geist-Taube mit entsprechenden Darstellungen Cranachs überein. Die halbseitig verdorrten Bäume schließen an die Bilder von Gesetz und Gnade an (zum Motiv vgl. Schmid Blumer 2004, S. 94–118). Und schließlich ist auch der Höllenschlund mit seinen unruhigen Insassen bei Cranach vorgegeben (Cranach 1972, S. 698).

Die Lage der Protestanten nach Luthers Tod hatte sich durch die schweren militärischen Niederlagen im Schmalkaldischen Krieg bedrohlich verschlechtert und durch den sogenannten Geharnischten Reichstag von 1548 mit der Verabschiedung des Augsburger Interims dramatisch zugespitzt. Für Magdeburg hatte sich zudem die Situation durch die kaiserliche Achtserklärung zusätzlich verschärft. Vor diesem Hintergrund versucht das Blatt, Zuversicht zu verbreiten, die sich auf den Glauben an die göttliche Gerechtigkeit und auf die Einigkeit von Obrigkeit und Geistlichkeit stützt. Die Einbeziehung der Türkengefahr in die konfessionelle Auseinandersetzung versteht sich als politisches Kalkül, das die militärischen Kräfte des Kaisers von den Protestanten ablenken und nach außen richten sollte. Die Belagerung Magdeburgs 1550/51 zeigt allerdings, dass diese Kalkulation nicht aufging.

Michael Schilling

Literatur:

Cranach 1972; Harms/Schilling/Wang 1980; Kaufmann 2003; Kolde 1908; Schmid Blumer 2004.