Luther, der Spalter
Der Begriff ‚Kirchenspaltung‘ findet in dieser ungewöhnlichen Zeichnung eine geradezu wörtliche Umsetzung: Luther, zur Linken vor einem Kirchengebäude kniend, sägt gemeinsam mit dem Papst das Gebäude vom Dach bis zu den Fundamenten in zwei Teile. Mit entschlossenem Blick halten der Reformator und sein Gegenspieler die Enden einer Trummsäge in ihren Händen, um die unwiderrufliche Teilung zu vollziehen. Luther ist hier an seinen Gesichtszügen, dem für ihn typischen Gewand mit Doktorhut und Talar sowie aufgrund seiner korpulenten Statur leicht zu erkennen (Roper 2012). Als schwieriger erweist sich die Identifikation des Papstes.
Der Erhaltungszustand des Blattes sowie die halbrunde Beschneidung in der oberen Hälfte deuten darauf hin, dass es zuvor in einem anderen Kontext stand, bevor es auf die Innenseite des Vorderdeckels eines Graphikbandes eingeklebt wurde. Ein inhaltlicher Zusammenhang ist nicht auszuschließen, da der Band zum Teil Darstellungen von Ereignissen des Dreißigjährigen Kriegs beinhaltet.
Schon zu Beginn der Reformation bedienten sich die protestantische Propaganda wie auch die Kritik an Luther und seinen Anhängern intensiv des Bildes (bspw. Kat. Nürnberg 1983a; Scribner 1994; Warncke 2010). Eine Vielzahl von Druckgraphiken und Flugblättern zeugen davon. Vor diesem Hintergrund ist es sehr bemerkenswert, dass diese Zeichnung beide konfessionellen Lager gleichermaßen für den Zustand der Kirche verantwortlich macht. Bei der Zerstörung der christlichen Gemeinschaft, so argumentiert das Bild, arbeiten Lutheraner und Katholiken zusammen.
Die Zeichnung, die vermutlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden ist, nimmt damit eine Position vorweg, die in den Jahren vor dem Dreißigjährigen Krieg im Umfeld des ersten Reformationsjubiläums 1617 ins Bild gesetzt wurde (Abb. 1).
Die Konflikte zwischen Lutheranern, Calvinisten und Katholiken schienen zu diesem Zeitpunkt unüberbrückbar. Das wohl um 1619 gedruckte Flugblatt Geistlicher Rauffhandel stellt die Vertreter der drei Lager in einer handgreiflichen Auseinandersetzung dar (Harms/Schilling/Wang 1997, S. 262f.; Kastner 1982; Schilling 1990, S. 185 ff.). Den Streitenden ist in der Gestalt des betenden Hirten das Ideal der Laienfrömmigkeit gegenübergestellt. Im Sinne der Irenik wird hier dem Konfessionsstreit eine Absage erteilt; als vordringliche Aufgabe gilt vielmehr die Suche nach den Gemeinsamkeiten der Konfessionen.
Judith Tralles
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