Huttens Inanspruchnahme des Luther-Bildnisses
Früh galt Ulrich von Hutten (1488–1523), trotz seines vorzeitigen Todes, als „Held der Reformation“. Diese Aufwertung und Verehrung als weltlicher Partner des Theologen Luther, die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert erreichte, geht maßgeblich auf Hutten selbst zurück. Wenn Hutten die reformatorischen Ereignisse aus humanistischer Sicht zunächst auch ignoriert hatte, so forderte er Luther im Jahre 1520 in einem öffentlichen Schreiben, der Epistola ad D. Martinum Lutherum (Kat. Schlüchtern 1988, S. 432f., Kat. Nr. 45), zu einem Bündnis und gemeinschaftlichem Handeln im Kampf gegen das Papsttum auf.
Das Bündnis mit Luther bildet freilich nur die letzte Phase von Huttens langwieriger Rom-Polemik (Rädle 2004, Aurnhammer 2006). Romkritisch, aber noch ganz in der Tradition des reichspatriotischen Humanismus von Conrad Celtis (1459–1508) und Heinrich Bebel (1472? –1518), war bereits Huttens Carmen heroicum über die moralische Integrität Deutschlands (1511, verstärkt in der zweiten Fassung von 1518). Seinen antipapistischen Affront hatte er in den politischen Epigrammen intensiviert, die er während seines ersten Italienaufenthalts (1512/13) verfasst und Kaiser Maximilian I. dediziert hatte. Die Italienreise von 1516, die ihm ausgerechnet sein Gönner Albrecht von Brandenburg (1490–1545) ermöglichte, der als Erzbischof von Mainz zur Zielscheibe der Reformatoren wurde, bestärkte Hutten in seiner nun moralsatirischen Ablehnung der römischen Kurie. In seinem Epigramm-Zyklus De statu Romano (1516/17) brandmarkte er sie aus kulturpatriotischer Perspektive als korrupte Institution. Nach seiner Rückkehr aus Italien nationalisierte und personalisierte Hutten seine publizistische Kampagne gegen den Papst. Die ethnozentrische Wende in Huttens Werk um 1520 zeigt sich erstens in der wirkmächtigen Entdeckung des Cheruskerfürsten Arminius im gleichnamigen Dialog (1519), zweitens in der Aufgabe des lateinischen Idioms im programmatischen Ain new lied (1521) („Ich habs gewagt mit sinnen“) und drittens in dem Bündnis mit dem Reformator Martin Luther.
Huttens Allianz mit Luther illustriert der Titelholzschnitt seines Gespräch büchlin (1521) (Kat. Schlüchtern 1988, S. 436, Kat. Nr. 53; Aurnhammer 2006, S. 163f.). Es enthält die deutschen Versionen vier antipapistischer Dialogi, die Hutten auf der Ebernburg seines Freundes und Standesgenossen Franz von Sickingen (1481–1523) verfasst hatte. Ob der Reformator und Sickingen-Freund Martin Butzer (1491–1551) an der Übertragung beteiligt war, ist nicht sicher, unverkennbar aber ist die reformatorische Tendenz des Titelblattes, das wohl Hans Baldung Grien (1484? –1545) gestaltet hat. Der Holzschnitt ist vertikal dreigegliedert: Oben ist die himmlische Sphäre dargestellt, während die Mitte mit Titulus von Luther und Hutten flankiert wird. Die untere Ebene präsentiert den Papst, kenntlich an der Tiara, der mit seinen „Romanisten“ und „Curtisanen“ (Kardinäle, Bischöfe, Mönche) von einem deutschen Heer – Landsknechte mit Lanzen und ein Ritter zu Pferd sind zu erkennen – zur Flucht genötigt wird. Den Zusammenhang der drei Bildebenen stellen die vier Schilde in den Ecken des Holzschnitts her, welche in Form einer Ahnenprobe Huttens Adel verbürgen.
Dass Huttens „Pfaffenkrieg“ und sein Bündnis mit dem Reformator göttlichem Willen entsprechen, bekunden die Halbfiguren der umwölkten himmlischen Sphäre: König David mit Harfe hält Gottvater, der bereits einen Pfeil auf die „Romanisten“ richtet, eine Tafel mit dem zweiten Vers aus Psalm 93 entgegen: „Exaltare qui iudicas terram, redde retribut[um] superbis“ – „Erhebe dich, der du die Erde richtest, zahle Vergeltung den Übermütigen“. Damit korrespondiert Ps 25,5 unter dem Titulus: „Odivi ecclesiam malignantium“ – „Ich hasste die Versammlung der Boshaften“. Luther in Mönchskutte und Hutten in Ritterrüstung, jeweils in ganzer Figur dargestellt, sind durch ihre Wahlsprüche als Vertreter des göttlichen Willens bezeichnet. Luther zugeordnet ist der Spr 8,7: „Veritatem meditabitur guttur meum“ – „Mein Mund redet die Wahrheit“, Huttens eigenes Motto lautet: „Perrumpendum est tandem, perrumpendum est“ – „Es muss endlich überwunden werden, es muss überwunden werden“.
Wie sehr das Bündnis mit Luther Huttens antipäpstliche Satire des Gespräch büchlin prägt, zeigt sich nicht nur im Titelholzschnitt. Urichs von Hutten beschluß red ist ein poetisch-programmatisches Bekenntnis zur Wahrheit: „Allein ich alles hab gethan | dem vatterland zu nutz und gut | Die warheit mich bewegen thut“. Auf Huttens Devise „Ich habs gewagt“ folgen noch einmal in Paralleldruck die beiden Bildnisse von Luther und Hutten, die schon den Titulus im Frontispiz rahmen (Abb. 1).
Zwei jeweils vierversige Rollengedichte, die unter den Porträts stehen, stimmen in der bekenntnishaften Verpflichtung auf „Warheit“ und auf „Gott“ überein, unterscheiden sich aber in der Wahl der Mittel: „Warheit die red ich“, heißt es bei dem Mönch Luther, der die Heilige Schrift hält, „Vmb Warheit ich ficht“, spricht der Ritter Hutten, der mit der Rechten den Knauf seines Schwertes fasst. Diese Bild-Text-Parallelisierung inszeniert nicht nur eine komplementäre und gleichrangige Rollenverteilung von Lehre und Kampf, sondern begründet im gleichrangigen Nebeneinander von Luther und Hutten auch dessen Nachruhm als heroischer Vorkämpfer der Reformation.
Achim Aurnhammer
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