Luther schrieb deutsch. Das Bekenntnis zur Muttersprachlichkeit führt zu einer der bedeutendsten Übersetzungsleistungen des 16. Jahrhunderts. Luthers Hinwendung zur deutschen Sprache wurde in nachfolgenden Jahrhunderten aber auch zu einer Inanspruchnahme für Deutschtum und Nationalismus missbraucht. Luther gerät als Stellvertreterfigur in einen Strudel von Wertevorstellungen, die vom deutschen Heldentum bis zum guten deutschen Hausvater reichen.
Luther galt als „der ewige Deutsche“ – zugleich überragende Gestalt der deutschen Geschichte und Realisierung des Nationalcharakters. Der Kulturkampf und der Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts deuteten die Reformation als politisches Ereignis und stilisierten Luther zur nationalen Heldenfigur, zum Ahnherren des modernen Staats, gleichzeitig aber auch zum bürgerlichen Hausvater. Luthers Abkehr von der römischen Kirche wurde als erster Schritt zur Einheit und Unabhängigkeit der deutschen Nation gedeutet, seine Übersetzung der Bibel zum Gründungsakt der deutschen Hochsprache deklariert.
Tatsächlich trugen Luthers volkssprachige Schriften bereits zu Lebzeiten dazu bei, dass die Reformation wesentlich als deutsches Phänomen wahrgenommen wurde. Schon die patriotisch gesinnten Humanisten des 16. Jahrhunderts übertrugen Luthers christliche Freiheitstheologie in einen deutsch-nationalen Befreiungsdiskurs.
Die Identifikation Luthers mit Deutschland sowie umgekehrt die Rückführung der als typisch deutsch erachteten Eigenschaften auf Luther hält bis in die Gegenwart an. So werden auch heute noch vermeintlich deutsche Tugenden wie Fleiß, Großzügigkeit, aber auch Sparsamkeit auf Luther zurückgeführt, ungeachtet regionaler, konfessioneller, sozialer und politisch-historischer Differenzen. Luther-Kult und deutsches Nationalverständnis verbinden sich zu einem Mythos, der Geschichte als Lebens- und Wirkungsgeschichte des 'großen Mannes' Martin Luther verstehen möchte.
Luther überarbeitete seine deutsche Psalmenübersetzung, hier in einem kostbaren Pergamentdruck, zwischen 1524 und 1531 mehrfach. Die verschiedenen Ausgaben zeugen von der fortgesetzten Arbeit an der Sprache. Die große Bedeutung der Psalmen für die Liturgie bedingte eine weitreichende Rezeption der Übersetzung, die zudem maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des protestantischen Kirchenliedes hatte.
Die Übersetzung der Bibel, die Luther 1521 auf der Wartburg begonnen hat, brachte ihm den Ruf des Ahnherrn der deutschen Sprache ein. Seine Bibelübersetzung war keineswegs die erste, durch ihre Verbreitung im Druck wohl aber die einflussreichste. Zudem handelte es sich bei der deutschen Fassung des Alten Testaments wesentlich um ein Gemeinschaftswerk von Theologen und Humanisten. Die hier gezeigte erste protestantische Gesamtausgabe der Bibel in deutscher Sprache enthält neben Übertragungen Luthers auch Eindeutschungen von Schweizer Reformatoren.
Luther verfasste den Sendbrieff während des Augsburger Reichstags 1530. Damit griff er öffentlichkeitswirksam in die Kontroverse über seine Bibelübersetzung ein. Die katholische Seite kritisierte, dass die Heilige Schrift an vielen Stellen nicht wortgetreu übertragen war. Luther verteidigte seine Übersetzung in Bezug auf den Sinngehalt und formulierte damit eine frühe Theorie der Übersetzung und zugleich ein sprachphilosophisches Gottes- und Weltverständnis.
Die 1566 von Johannes Aurifaber (1519–1575) herausgegebenen Tischreden haben großen Anteil an Luthers Ruf als Vater der deutschen Sprache. Aurifaber betont in der Vorrede, dass durch Luthers Übersetzung der Bibel jedermann am Wort und der Erkenntnis Gottes teilhaben könne. Davon ausgehend zeichnete eine nationaltrunkene Moderne das Bild von Luther als „wahrer und größter Apostel der Deutschen“, der die „Grundfeste deutschen Volkstums“ gelegt habe.
Die Durchsetzung und Etablierung einer normierten deutschen Schriftsprache verdankte sich Schreibmeistern, Grammatikern und Sprachgesellschaften des 16. und 17. Jahrhunderts. Johannes Clajus (1535–1592) berief sich in seiner Grammatik des Deutschen auf die Bibel-Übersetzung und die deutschen Schriften Luthers. Die Vorbildlichkeit der Luther’schen Sprache begründet Clajus damit, dass sich Gott des Reformators wie zuvor der Propheten und Apostel als sein Werkzeug bedient habe.
Ulrich von Hutten (1488–1523) machte sich mit antirömischen und national gesinnten Aussagen und Forderungen zeitweilig zum Verbündeten Luthers. Im Gespräch büchlin veröffentlichte Hutten vier Dialoge gegen das Papsttum. Der Titelholzschnitt, auf dem Luther als Mönch und Hutten in Rüstung den Titel flankieren, inszeniert eine Allianz von Reformator und dem reichspatriotischen Humanisten. Die Wahrnehmung Huttens als weltlicher Partner Luthers im 19. Jahrhundert wurde dadurch wesentlich geprägt.
Bücher mit Bildnissen und Lebensbeschreibungen berühmter Persönlichkeiten waren im 16. Jahrhundert weit verbreitet. Sie trugen insbesondere zur Kanonisierung von Gelehrten und ihren Porträts bei. Ab 1560 gehörte Luther zum festen Bestand derartiger Publikationen aus dem protestantischen Raum. Als von Gott gesandter Lehrer des wahren Evangeliums ist er in Johann Agricolas (1530–1590) Buch gleich mit zwei Bildnissen aus der Cranach-Werkstatt vertreten.
Jean Jacques Boissards (1528–1602) Icones präsentieren über nationale und konfessionelle Grenzen hinweg die wichtigsten Gelehrten der jüngeren europäischen Geschichte. Bildüber- und -unterschrift ehren darin Luther als „deutschen Elias“ und Propheten, der die Freiheit des deutschen Volkes errungen habe.
In Hinblick auf das bevorstehende dritte Reformationsjubiläum 1817 projektierte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) im November 1816 ein Luther-Denkmal. Es gelangte zwar nicht zur Ausführung, doch leistete der Weimarer Nationaldichter seinem Selbstverständnis nach mit diesem Entwurf einen Beitrag zur identitätsstiftenden Mitgestaltung der deutschen Kultur. Der gefeierte Goethe übernahm es, dem anderen „großen Deutschen“ ein Monument zu gestalten.
Zacharias Werners (1768–1823) Drama, das am 11. Juni 1806 in Berlin uraufgeführt wurde, war nicht nur ein Publikumserfolg, sondern sorgte auch für einen kleinen Theaterskandal: In Berlin stationierte Offiziere empörten sich über die vermeintlich mystisch-romantische Verklärung des Reformators. Das Stück ebnete dem sogenannten Schicksalsdrama den Weg und beförderte die Vorstellung von Martin Luther als deutschem ‚Kraftmenschen‘.
August Klingemanns (1777–1831) Drama Martin Luther wurde am 21. Juli 1806 in Braunschweig uraufgeführt. Wie vor ihm Zacharias Werner stilisiert auch Klingemann Luther zum Protagonisten des deutschen Nationalcharakters. Mit dem Drama, bei dessen Gestaltung sich Klingemann eng an der geschichtlichen Überlieferung orientiert haben will, sollen die „Nebel der Vergangenheit“ vertrieben werden, so dass Luther als ein Ideal „Deutsche[r] Kraft“ hervortreten kann.
Der Braunschweiger Pastor Wilhelm Beste (1817–1889) ließ seine Abhandlung über Kindererziehung mit einem Bilde Luthers im Kreis der Familie illustrieren. Die auf einen 1843 angefertigten Stahlstich von Carl August Schwerdgeburth (1785–1878) zurückgehende Graphik platziert die Luthers vor einem geschmückten Tannenbaum. Die erst ab 1642 bezeugte Verwendung des Christbaums sowie Ambiente und Dekor lassen erkennen, dass Luther hier als Urbild des biedermeierlichen Familienvaters inszeniert werden sollte.
Mit zunehmender Verbürgerlichung der Gesellschaft stieg das Interesse am Privatleben des Theologen Martin Luther. Hatte ihn die Aufklärung zum Vordenker ihrer Freiheitsideale stilisiert, bediente man sich seiner Person später zur Vermittlung bürgerlicher Werte. Das Doppelporträt zeigt die Eheleute Luther in einer vertrauten und heiteren Zweisamkeit, die aber erkennbar kein gleichberechtigtes Nebeneinander bedeutet.
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