Deutscher Sprachheld Luther
Die Inanspruchnahme Luthers als ‚Sprachvater der Deutschen’ hat eine lange Tradition. Spätestens mit der Eislebener Leichenpredigt auf Martin Luther von Justus Jonas (1493–1555) wird die überragende sprachgeschichtliche Bedeutung des Reformators zu einem zentralen Bezugspunkt der Luther-Rezeption: Inmitten der von vielen Zeitgenossen beklagten Verwahrlosung und dem Mangel an Regulierung habe Luther eine beispiellose Übersetzungsleistung vollbracht. Ähnlich emphatisch äußert sich zur gleichen Zeit auch Johannes Aurifaber (1519–1575) im Vorwort der von ihm – nicht ohne Manipulationen – postum herausgegebenen Tischreden Luthers. So verfestigte sich das Bild des unvergleichlichen Sprachschöpfers bis ins nationaltrunkene späte 19. und frühe 20. Jahrhundert hinein, das Luther zum „Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache“ erklärte und ihn zum „wahren und größten Apostel der Deutschen“, der die „Grundfeste deutschen Volkstums“ gelegt habe, inthronisierte.
Luther war nicht der Schöpfer der deutschen Gemeinsprache – die Engführung auf seine Person ist Arbeit am Mythos Luther – wohl aber war er ein wichtiges Bindeglied und ein entscheidender Katalysator in der Formierung einer differenzierten und standardisierten neuhochdeutschen Schriftnorm, die sich zwischen dem ausgehenden Mittelalter und dem späten 18. Jahrhundert in einem komplexen Prozess von Sprach- und Schriftkultur herausbildete.