„Was Luther that, bewahrt die Ewigkeit!“
Am 21. Juli 1806 wurde August Klingemanns (1777–1831) Martin Luther in Braunschweig von der Magdeburger Schauspielgesellschaft uraufgeführt, nur wenige Wochen nach der überaus erfolgreichen Aufführung des Dramas Martin Luther, oder: Die Weihe der Kraft von Zacharias Werner (1768–1823) in Berlin (Kat. Nr. 45). Klingemann – „literarhistorisch der vielleicht unbekannteste Bekannte um 1800“ (Košenina 2014, S. 249), weil er erst 1987 als Verfasser der 1804 anonym publizierten Nachtwachen von Bonaventura identifiziert werden konnte (Haag 1987) – stand in engem Kontakt zu Friedrich Ludwig Schmidt (1772–1841), der mit Alois Hostovsky (1756–1821) die Leitung des 1794 gegründeten Magdeburger Theaters übernommen hatte. Klingemann selbst übte in seiner Vaterstadt Braunschweig eine Stelle als Registrator am „Obersanitätskollegium“ (Burath 1948, S. 85) aus. Im März 1807 hat er Werners Tragödie rezensiert und erklärt, dass dessen Luther einen nur scheinbaren Sieg erringe, weil er ihn als „personificirte Idee des Protestantismus“ zu „katholisch“ wiedergegeben habe (Klingemann 1807, S. 230). Luther sei aber, schreibt Klingemann seinem Freund Schmidt, ein Gegenstand „der Bewunderung für die ganze Menschheit, so wie er ist, es bleibt daher auch die Pflicht des Dichters ihn so treu als möglich“ darzustellen (Klingemann 1806b).
Dieser Richtschnur folgend kündigt er im Prolog an, dass sein Luther „des Spiels der bunten Farben“ (Klingemann 1820, S. 219) nicht bedürfe. Deshalb lasse er seinen Protagonisten „treu nach dem Protokolle“ (Klingemann 1806c) auf dem Reichstag nicht disputieren, und in der Szene, in welcher Luther der alten Kirche entsagt, tritt er in einem „schwarzen bis auf die Waden hinabreichenden weiten Priesterrock“ auf (Klingemann 1820, S. 286). In einer Fußnote erinnert Klingemann an die Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. (um 1472–1553), die „ihn in diesem Costume darstellen“ (ebd.). Zugleich symbolisiert das schlichte Kostüm den tugendhaften Charakter, und in der Tat erscheint Luther – dem altdeutschen Stil gemäß – „einfach und gothisch“ (Klingemann 1806a) mit einem „rauhen felsenfesten“ Sinn (Klingemann 1820, S. 235).
Im Gegensatz zu Werner pocht Klingemann auf historische Wahrheit. Diesem Diktum ist er bereits in seinem ebenfalls 1806 uraufgeführten Heinrich der Löwe (1808) gefolgt. Auch in anderen Stücken hat er sich an der geschichtlichen Überlieferung orientiert. In seinem Luther bekräftigt er die Authentizität seines Helden durch historische Belege sowie freie Wiedergabe der Schriften Luthers. Das Geschehen setzt mit der Androhung der päpstlichen Bulle ein, die Luther nur wenig später vor dem Elstertor in Wittenberg verbrennt. Da er seine „Ketzereyen“ nicht öffentlich widerruft (ebd., S. 237), wird er auf Geheiß des Kaisers nach Worms befohlen, aber auch dort dementiert er nicht. Unterstützung erhält Luther von Philipp Melanchthon, Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen. Die Situation eskaliert schließlich, als Hieronymus Aleander und Albrecht von Brandenburg Luther vergiften wollen. Friedrich der Weise lässt ihn daraufhin auf die Wartburg entführen. Inzwischen hat sich die protestantische Bewegung zum Teil radikalisiert. Luther reist des öffentlichen Friedens willen zurück nach Wittenberg. Im Schlussakt kündigt er an, Katharina von Bora zu heiraten.
Klingemanns Luther muss sich aber nicht nur im Kampf gegen seine Feinde, sondern auch gegen das „satirisch[e]“ Schicksal behaupten (ebd., S. 351). Als der Kaiser Johannes Eck auffordert, Luthers Geleit ein wenig milder zu formulieren, und im selben Moment die Meldung von der Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés eintrifft, unterschreibt der Kaiser „flüchtig“ das Papier und „eilt ab“ (ebd., S. 341). Mysteriös bleibt außerdem die Szene, in welcher jener mit Gift gefüllte Becher plötzlich zerspringt. Sickingens mechanischer Ausruf: „Deß walte Gott!“ deutet eine mögliche Ursache zwar an (ebd., S. 357), der Verdacht fällt jedoch rasch auf Aleander und Albrecht: „Schaut nur jene Mienen, | In ihnen steht das Böse klar verzeichnet!“ (ebd., S. 358). Der tugendhafte Luther hält den Wein hingegen für „unverfälscht“ (ebd., S. 360).
Zweifelsohne greift Klingemann auf Friedrich Schillers (1759–1805) Dramenästhetik zurück, wenn er seinen Protagonisten zu einem „deutsche[n] Genius“ stilisiert (ebd., S. 217), der die nötige „Kraft zum freien Ertragen“ besitzt, die allein „zum Triumphe des tragischen Gedichts“ führt (Klingemann 2012, S. 82) und sich so als ein unvergängliches Denkmal im „Herzen“ des Publikums begründet: „Und jedes deutsche Herz muß freudig schlagen, | Wenn es der Freiheit großen Helden schaut!“ (Klingemann 1820, S. 219).
Es gilt, die „Nebel der Vergangenheit“ zu vertreiben (ebd., S. 217). Daher soll Luther die Bühne – den Gemälden Cranachs gemäß – im „gothischen Styl“ betreten (Klingemann 2012, S. 100). Was „nur die Hand der Kunst | Im todten Bilde aufbewahren konnte“, soll nun „lebend wieder in die Wirklichkeit“ zurückkehren (Klingemann 1820, S. 217). In diesem Sinne inszeniert Klingemann – die bildende Kunst des 16. Jahrhunderts zum Maßstab erhebend – Luther zu einem Ideal „Deutsche[r] Kraft“ (ebd., S. 305), denn was „Luther that, bewahrt die Ewigkeit!“ (ebd., S. 218).
Manuel Zink
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