Luthers Ringe

Sogenannter Trauring Martin Luthers und Katharina von Boras

Luthers Ringe verzaubern: Die Universität Helmstedt beanspruchte im 18. Jahrhundert im Besitz des Hochzeitsrings des Reformators zu sein (Abb. 1). Dieser Doppelring besteht aus zwei ineinander zu fügenden, rund 2 cm kleinen Stücken mit je einem Diamanten. Auf der Innenseite der Ringe steht jeweils „Was. Got. Zvsamen. Fieget“ und „Sol. Kein. Mensch. Scheiden“, ergänzt um die Insignien „MLD“ für „Martin Luther Doktor“ bzw. „CVB“ für „Katharina von Bora“. Diesen Ring, so wurde kolportiert, habe Albrecht Dürer, „der schön in Gold arbeiten können“, für „Käthe“, das heißt Katharina von Bora angefertigt (Oelrichs 1750b, S. 55).

Zusammen mit diesem wurde Luthers sogenannter Doktorring überliefert. Beide Ringe gelangten nach der Schließung der Universität Helmstedt im Jahr 1810 zunächst in die Wolfenbütteler Bibliothek und wurden von dort nach Braunschweig transferiert (Kat. Braunschweig 1997, S. 83f., Kat. Nr. 45f.; Henze 2005a; Henze 2005b). Ein weiteres, mit einem Rubin ausgestattetes Stück, zunächst als Trauring, später wohl in Reaktion auf die Konkurrenz mit dem Helmstedter Kleinod auch als Verlobungsring bezeichnet, stammt aus Privatbesitz. Dieser Ring wird heute im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig verwahrt (Kat. Eisenach 1996, S. 243; Küster 1741). Unter anderem anlässlich des Jubeljahres 1817 wurden von diesem Ring Repliken hergestellt und zum Preis von einer Dukate verkauft (Berger 1827, S. 98. Vgl. auch Brückner 1974, S. 268, Anm. 28) (Abb. 2 und Abb. 3). Ein viertes, durch Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656) bekannt gewordenes Exemplar gilt als Luthers Siegelring. Es befindet sich heute im Grünen Gewölbe der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Abb. 1
Abb. 1 Grafische Darstellung des Traurings, in: Christian Juncker: Das Guldene und Silberne Ehren-Gedächtniß Des Theuren Gottes-Lehrers D. Martini Lvtheri, Frankfurt a. M. u. a.: Endter/Göbel 1706, S. 283. HAB: M: Li 5606

Luthers Siegelring interessiert als ein häufig getragenes Geschäftsding, durch das die von ihm verfassten bzw. von ihm unterstützten Dokumente autorisiert wurden. Die Begeisterung für Luthers Trau- bzw. Verlobungsringe hängt demgegenüber eng mit der Bedeutung zusammen, die man der ehelichen Verbindung einer entlaufenen Nonne mit einem zur Ehelosigkeit verpflichteten Mönch zuschrieb. Wie kein anderes Objekt ikonisiert der Ring die luthersche Ablehnung des Klerikerzölibats und damit eines der wichtigsten Kennzeichen des Luthertums – zugleich lässt sich dieses konfessionelle Signum mittels des Memorialobjekts dinglich fortschreiben.

Eine wichtige Praxis, die die Wahrnehmung der Ringe als herausgehobene Lutherobjekte formt, ist die materielle Zurichtung, also das Sammlungs- und Verwahrungswesen, welches den Blick lenkt und so den Sinn eines Objekts mitbestimmt: Die Universität Helmstedt verwahrte ‚ihre‘ beiden Lutherringe in zwei „besonderen Capsel[n]“ und stellte diese unter die kontrollierende Aufsicht des Bibliothekars (Oelrichs 1750b, S. 56); von einem dieser beiden Behältnisse gibt auch ein Eintrag im Bibliotheksverzeichnis des 19. Jahrhunderts Nachricht („Etui, worin Luthers Doktor-Ring zu legen ist“; Kat. Braunschweig 1997, S. 89, Kat. Nr. 59). Wie wichtig die Verpackung für die Ikonisierung des Schmucks war, belegt des Weiteren die Überlieferung zu einem anderen Ring, von dem im frühen 18. Jahrhundert berichtet wurde, er sei in einem „Schätelgen“ verwahrt worden, „an dessen Deckel inwenig“ Martin Luther als Ringhalter ausgewiesen wurde. Das Geheimnis der Schachtel war demnach durch den geschlossenen Deckel verborgen; erst durch das Öffnen offenbarten sich gleichzeitig das Objekt und sein Besitzer als eine unzertrennbare Einheit (Juncker 1706, S. 282).

Ihre Funktion und ihren Wert erhielten die Objekte ferner durch performativen Praktiken, wie an Luthers Doktorring deutlich wird, den sich Besucher der Universität Helmstedt – sofern sie graduiert und männlich waren – auf den Daumen stecken durften. Sie wurden so gewissermaßen von ihm ‚umringt‘ bzw. ‚ergriffen‘; der ihnen eingeräumte exklusive Kontakt mit dem Ring war also mehr als nur ein Bestaunen oder Berühren. Durch die zwei Bedingungen für das Ringtragen wurde die vorherrschende Geschlechtertrennung im Kontext der Hochschulausbildung und die gesellschaftliche Privilegierung von Graduierten fortgeschrieben (Privatbibliotheken 1791, S. 44). Das Kleinod wurde ebenso theologischen Doktorkandidaten anlässlich ihrer Promotion auf den Daumen gesteckt. Sich auf eine Erzählung stützend, wonach Luther die Zimelie anlässlich seiner Promotion geschenkt bekommen habe, formulierte man damit zugleich einen prospektiven Anspruch in Hinblick auf die Bedeutung des Helmstedter akademischen Nachwuchses (Oelrichs 1750b, S. 54).

Abb. 2
Abb. 2 Sogenannter Trau- bzw. Verlobungsring Martin Luthers, vermutl. Nachbildung aus dem 19. Jahrhundert, aus den Sammlungen S. D. des Fürsten zu Stolberg-Wernigerode. Foto: Hendrik Neumann, Wolfenbüttel
Foto: Hendrik Neumann, Wolfenbüttel

Das konkrete Tragen des Rings fand auch Johann Georg I. wichtig, der sich der Geschichtsschreibung zufolge mit dem Siegelring gerne auf dem politischen Parkett der frühneuzeitlichen Fürstengemeinschaft zeigte. Dies geht aus einer 1655 veröffentlichten Darstellung hervor, in der der Ring für das kirchliche Wächteramt des Regenten und für die göttlich legitimierte Beständigkeit der Dynastie steht. Auf dem Titelkupfer ist dies visualisiert durch die Darstellung mehrerer Generationen des Hauses Sachsen, zusammengehalten durch den Ring und gerahmt von Luther auf der einen Seite und einem Evangelisten auf der anderen (Abb. 4). Eine besondere Aufwertung erfuhr dieses Exemplar in der Beschreibung dadurch, dass es nicht nur als „sichtlicher Beweis“ des „Lutherthumbs“ angesehen wurde, sondern ihm darüber hinaus eine magische Kraft zugeschrieben wurde, die zu einem gewissen Grad jenseits der Lutherverehrung anzusiedeln ist: Die Zimelie habe bereits im 16. Jahrhundert als ein „Werckzeug“ gedient und würde nun auch ihn, den neuen Träger, „[z]um wahren Gottes Wort“ lenken (Benewitz 1655, Bl. [B2] rv). Was für Luther galt, durfte demnach auch das Haus Sachsen als neuer Ringinhaber für sich beanspruchen: Sein Träger konnte sich der besonderen Gnade Gottes sicher sein.

Abb. 4
Abb. 4 Philipp Bennewitz: [Lobgedichte auf den Siegelring Luthers], o. O. [1655], Titelblatt. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale): Pon Vc 3540, FK
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Noch heute erklärt sich der Zauber der Ringe so auch damit, dass sie sich in ‚Tragbarkeit‘ dazu eignen, die vergangenen, als epochal gedeuteten Zeiten zu inszenieren und präsent zu machen, sei es in politischer, emotionaler oder wissenschaftlicher Absicht. Darum werden von Juwelieren erstellte Kopien auch gegenwärtig noch als Sondereditionen vermarktet.

Elizabeth Harding

Literatur:

Henze 2005a; Henze 2005b.