Luther bekommt Hörner
Der Franziskaner Johannes Nas (1534–1590) war einer der wichtigsten und witzigsten Kontroverstheologen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sein literarisches Hauptwerk sind seine sechs Centvrien, in denen er Inkonsequenzen der protestantischen Lehre und Praxis darlegt. In der fünften Centvria behandelt er das Leben Luthers. Nas veröffentlicht einen Holzschnitt von Cyriacus Spangenberg, der Luther als nach links gewendete Halbfigur, mit offenem Buch in den Händen zeigt, eine Warze über dem rechten Auge. Ihm scheinen spitze Teufelshörner gewachsen. Es handelt sich aber um eine ironische Zuspitzung, die sich auf ikonographische Muster beziehen lässt. Luther ist so vor einem Fenster positioniert, dass die dahinter scheinende Mondsichel dem Reformator scheinbar Hörner aufsetzt. Eine Erklärung bietet auch der Text: Ansatzpunkt ist die ikonographische Tradition, Mose aufgrund einer lateinischen Fehl-Übersetzung von Ex 34,29 mit „gehörntem“ Angesicht zu zeigen. Obwohl Luther diese Stelle neu übersetzt hat, findet man die Hörner des Moses auch in der lutherischen Ikonographie. Nas dienen sie hier in aller Mehrdeutigkeit zur Bloßstellung Luthers.