Luther bekommt Hörner
Der Franziskaner Johannes Nas (1534–1590) war einer der wichtigsten und witzigsten Kontroverstheologen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sein literarisches Hauptwerk sind seine sechs Centvrien, in denen er Inkonsequenzen der protestantischen Lehre und Praxis darlegt. In der fünften Centvria behandelt er das Leben Luthers.
Nas betrachtete es als Inkonsequenz, wenn „sie Luther malen heilig“ (S. 276 v), wie es Hans Baldung Grien tat (Kat. Nr. 10), dessen Bilderfindung Nas aus dem 1522 erstmals erschienenen überauß schön Lied von Michael Stifel kannte (Abb. 1):
Michel Stifel ließ jhn […] heilig trucken/ da er noch in der kutten stack/ mit einem grossen schein vmb den Kopff/ oben schwebet der heilig Geist/ mit einem kleinen schein/ als ob Luther heiliger wär dann der heilig Geist selbst (S. 276 r).
Nas veröffentlichte selbst einen Holzschnitt, der Luther scheinbar mit einem Heiligenschein zeigt. Nas ließ die Darstellung nach dem Vorbild eines Holzschnitts gestalten, den Cyriacus Spangenberg auf mehreren Titelblättern seiner in Erfurt gedruckten Lutherpredigten verwendete (Abb. 2): „Jetzt zu diser zeit/ malt jn Spanberg auf alle Predig/ mit dem Diadem/ mit heiligem schein“ (S. 276 r). Man sieht Luther als nach links gewendete Halbfigur, mit offenem Buch in den Händen, eine Warze über dem rechten Auge. Die Warze ist übernommen von einem 1546 in der Cranachwerkstatt geschaffenen ganzfigurigen Holzschnitt mit dem Titel Warhafftige Contrafet des Ehrwirdigen Herren Doctor Mart. Luth. (Kat. Nr. 13, Abb. 1). Diese Darstellung erweitert einen halbfigurigen Bildtypus, der spätestens 1539 in der Cranachwerkstatt entstand. Luther erscheint jeweils barhäuptig. Die linke Kragenseite seiner Schaube ist aufgestellt, die rechte liegt auf der Schulter, wodurch charakteristische Umrisse entstehen, die die Wiedererkennbarkeit des Bildnisses garantiert. Die Warze, die nur selten kopiert wurde, hat Spangenberg beibehalten, denn sie verbürgte die Wahrhaftigkeit des Bildes.
Nas übernahm den von Spangenberg benutzten Bildtypus, dessen ironische Umdeutung man erst auf den zweiten Blick bemerkt. Die Warze wird zum negativen Signal und betont jetzt das Anekdotisch-Momenthafte, während Spangenberg das wahre Bild eines überzeitlichen Heiligen zeigen wollte. Spangenbergs Bildformulierung regte Nas an, eine Komposition zuzuspitzen, die er bereits in der zweiten Auflage seiner Antigratulatio (Nas 1568, S. 44 r) abgedruckt hatte und die er auch in die Centvria einfügte (Abb. 3) (vgl. Kat. Nr. 25, Abb. 2).
Der Holzschnitt illustriert Luthers 1533 erschienene Schrift Von der winckelmesse und Pfaffen Weihe. Der zugehörige Text schildert ein nächtliches Gespräch mit dem Teufel, der Luthers Lehre von der Messe vertritt. Hinter dem im Bett liegenden Luther sieht man den Halbmond durchs Fenster. Bereits hier polemisiert Nas gegen die Gleichsetzung Luthers mit Mose und deutet die Hörner des Mondes als „eselsoren vn[d] Türckische wapen“ (Nas 1568, S. 44 r). Ansatzpunkt ist die ikonographische Tradition, die Mose wegen der lateinischen Übersetzung von Ex 34,29 mit „gehörntem“ Angesicht zeigt. Obwohl Luther diese Stelle neu übersetzt hat, findet man die Hörner des Moses auch in der lutherischen Ikonographie. Nas’ Aussage war also allgemein verständlich. Seine neue Bildkomposition ist aber eingängiger als die erste, und sie ist die nur geringfügige Umformulierung eines lutherischen Bildformulars. Entscheidend ist die Verräumlichung. Bei Spangenberg erschien Luther in einem fensterartigen Ornamentrahmen, der nun als reales Fenster konkretisiert wird, um Nas’ ironisch-anekdotischen Erzählung optische Evidenz zu verleihen:
da Luther auff ein zeithinder dem Tisch gesessen vn[d] gelesen hab/ vn[d] sein diener hinder dem ofen auff der banck gelegen/ vnnd auf den Luther gemerckt/ da hab sich gleich der Luther gegen dem fenster gekert/ gegen dem Monschein mit dem rucke[n]/ das der Mon gleich die hörner bey seinem kopff vbersich gewendt/ vn[d] einen herumb glantzeden schein geben/ das hat dann seltzam gesehen/ vnd wunderbarlich/ das der Fabelhans nicht anderst gemeint/ er sey der ander Moyses (S. 276 v).
In der Beischrift heißt es: „Hie sitzt Luther vnd Stultiert/ da scheint der Mon hinder jm zum fenster hinein/ darumb soll er der ander Moyses sein/ das Riraritz.“ (S. 277 r). „Riraritz“ ist der Refrain eines antilutherischen Liedes, auf das man diesen Text singen kann. Die Anekdote spricht für sich: Luthers Haushalt ist ein Ort des Müßiggangs und der Dummheit, denn „stultiert“ ist vom lateinischen „stultum“ (töricht) abgeleitet und entwertet das geöffnete Buch. Vor allem aber herrscht hier ein blasphemischer Dünkel. Das zeigt die übliche Gleichsetzung Luthers mit Moses. Nas belegt sie aus den Tischreden des Johannes Aurifaber, des „Fabelhans“, sowie aus Johannes Mathesius’ Historien/ Von des Ehrwirdigen in Gott seligen theuren Manns Gottes/ Doctoris Martini Luthers/ anfang/ Lere/ lebens vnnd sterbens (Mathesius 1570, S. 47 v–63 r).
Mit einfachen Mitteln gelingt Nas eine vielschichtige Bildformulierung, die starke argumentative Kraft besaß, denn tatsächlich wurden manche Protestanten durch die Lutherverehrung irritiert. Vor allem bestätigten die Bilder des „heiligen Luther“ die katholische Seite; so schreibt der Kontroverstheologe Wilhelmus Lindanus (1525–1580):
Was die Bilder Christi und der Heiligen anbelangt, die uns die Kalvinisten als Götzenbilder zum Vorwurf machen, rechtfertigen uns genugsam deren Brüder die Lutheraner, die ja sowohl das Bild unseres gekreuzigten Herrn Christus Jesus haben als freilich auch Luthers, ihres fünften Evangelisten, dem sie den Heiligen Geist in der Gestalt einer Taube hinzufügen, und das Bild in den Kirchen ehrfürchtig behandeln (Lindanus 1580, S. 116).
Christian Hecht
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