Luther als Anhänger und Sohn des Teufels

Da stehet ein armer verderbter Bauersmann

Der Franziskaner Johann Nas (1534–1590) nutzt die Figur des disputierenden Bauern, mit der die reformatorische Seite den katholischen Klerus als ignorant und unmoralisch hinzustellen suchte, und wendet sie gegen ihre Urheber.

Der Holzschnitt zeigt Luther als Mönch im Gespräch mit einem Bauern, der mit Schwert und Spieß bewaffnet ist. Der Druckstock des Holzschnitts wurde erstmals für die Flugschrift Anzeigung zwayer falschen zungen (Landshut 1526) verwendet (Abb. 1), in der der Franziskaner Johann Fundling († um 1538) mit Zitaten aus Luthers Schriften dem Reformator Doppelzüngigkeit gegenüber den Bauern während des Bauernkrieges vorwirft (vgl. Harms/Schilling/Wang 1980, Nr. 25).

Dieser ursprüngliche Zusammenhang erklärt die Waffen des Bauern im Bild. Auf unbekannten Wegen gelangte der Stock in den Besitz der Ingolstädter Druckerfamilie Weissenhorn, die ihn für den vorliegenden Einblattdruck und als Illustration der Streitschrift Qvinta Centvria, Das ist/ Das Fünfft Hundert/ der Euangelischen warheit (Ingolstadt 1570) von Nas einsetzte (Kat. Nr. 24). Von der Beliebtheit der Darstellung zeugt auch ein Nachschnitt auf dem Flugblatt Vrsprung vnd anfang des funfften Wittenbergischen Euangeliumbs (o. O. 1562; vgl. Strauss 1975, III, S. 1186), auf dem der Konvertit Friedrich Staphylus (1512–1564) die Uneinigkeit der Protestanten satirisch geißelt (vgl. Stopp 1965, S. 620–622).

Abb. 1
Abb. 1 Johann Fundling: Anzeigung zwayer falschen zungen des Luthers, Landshut: Weissenburger 1526, Titelblatt. HAB: 230.32 Theol. (3)

Der Dialog führt einen herablassenden und dünkelhaften („Ein Doctor ich bin Hochgelehrt“) Reformator vor, der nachts vertrauliche Disputationen mit dem Teufel führt und den Klagen des Bauern nichts entgegensetzen kann. Die Redeanteile des Bauern dominieren quantitativ und qualitativ. Er beklagt sich über die wirtschaftliche, vor allem aber moralische Verschlechterung der allgemeinen Lage seit der Reformation. Sein abschließender Monolog verurteilt die Streitigkeiten unter den Protestanten („Ein sect die andern hat außdroschen“) und zählt in einer langen Liste Reformatoren und ihre Wirkungsstätten auf. Dabei begnügt er sich nicht damit, ihre Taten und ihr Ende als unheilvoll zu verunglimpfen, sondern verhöhnt sie auch noch durch satirische Verzerrungen ihrer Namen. So werden etwa der Ulmer Reformator Konrad Sam (um 1483–1533) zu „Reisenzan“ (‚reißender Zahn‘), Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) zu „Flicksflax [der] Delirisch war“, Johann Friedrich Coelestin (um 1535–1579) zu „Scelest“ (‚Verbrecher‘) oder der Herausgeber von Luthers Tischreden Johann Aurifaber (um 1519–1575) zu „Aurifabelle“ (‚Fabulator, Lügenerzähler‘). Diese Beschimpfungen und Verspottungen hatten einen durchaus ernsten Hintergrund, da man in der Frühen Neuzeit überzeugt war, dass der Name Aufschluss über die Eigenschaften seines Trägers gebe, weswegen nicht zuletzt Namensanagramme sich großer Beliebtheit erfreuten. Auch die Absage des Bauern im letzten Verspaar („Drumb heb dich weck vnd back dich fer | Du loser Münch Sun Lucifer“), die sich an Christi Abweisung des Teufels (Mt 4,10: „Hebe dich weg von mir, Satan“) anlehnt, operiert mit einem namensetymologischen Anklang von Luther und Lucifer.

Johann Nas, der Verfasser des Blattes, war im 16. Jahrhundert einer der aktivsten und sprachmächtigsten Kontroverstheologen auf katholischer Seite. Der Bawerßmann ist in mehrfacher Hinsicht mit dem konfessionellen Streitschrifttum verbunden. Zum einen gehört er in eine bildpublizistische Kontroverse der Jahre 1567 bis 1570 (dazu Stopp 1965; Oelke 1996). Sie war durch das Ingolstädter Flugblatt der Anatomia Lutheri eröffnet worden. Auf deren Entgegnung durch den Einblattdruck Lutherus Triumphans des Wittenberger Poeten Johannes Major (1533–1600) antwortete Nas mit dem Blatt Lutherus Disputans (Abb. 2; vgl. Klug 2012, S. 48f.) (vgl. Kat. Nr. 24, Abb. 3), auf das wiederum das vorliegende Blatt mit dem Hinweis auf die Teufelsdisputation Luthers Bezug nimmt.

Abb. 2
Abb. 2 Johann Nas: Lvthervs Dispvtans, [Ingolstadt: Weissenhorn 1568/69]. Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek: Graph. 29/41, 6
Diese Abbildung ist urheberrechtlich geschützt

Zum andern kannte und nutzte Nas die Flugschrift Fundlings, welche den Holzschnitt zuerst abgedruckt hatte. Er zitiert sie an der den Bawerßmann betreffenden Stelle in seiner Qvinta Centvria (Bl. 361 r) und spielt auf dem Blatt selbst auf ihren Titel an, wenn er den Bauern sagen lässt: „Das du in eim maul hast vil zungen“. Zum dritten übernimmt er aus dem oben genannten Flugblatt des Staphylus mit einigen Abänderungen die Liste der auch dort sprachlich verzerrten Reformatorennamen. Und schließlich ist Nas mit den Reformationsdialogen wohlvertraut, in denen sich regelmäßig ein Sprecher aus dem einfachen Volk Vertretern der katholischen Geistlichkeit in Bezug auf Bibelkenntnis und Argumentationskraft als überlegen erweist (Kampe 1997). Dieses Muster kehrt der Franziskanerpater gegen Luther, der in dem Rededuell mit dem Bauern deutlich den Kürzeren zieht.

Michael Schilling

Literatur:

Harms/Schilling/Wang 1980; Kampe 1997; Klug 2012; Oelke 1996; Stopp 1965; Strauss 1975.