Luther und der Teufel
Auf die durchschlagende und flächendeckende protestantische Bildpropaganda versuchten die altgläubigen Gegner mit einer Gegenpropaganda zu antworten, die dieser an Derbheit in nichts nachstand. Ihr vorrangiges Thema war Luther und der Teufel. Aus traditioneller Sicht konnten es nur die Mächte des Widersachers sein, die dem gelehrten Mönch ihre diabolischen Ideen einhauchten. Kritik an Luther schlug sich bereits vom Beginn der 1520er Jahre in verschiedenen Pamphleten nieder. Eine deutliche Bildsprache spricht der Titelholzschnitt zu Petrus Sylvius' (1470–1547) kurzem Traktat über die eintrechtige vereinigung des Reformators mit Luzifer. Unmissverständlich bestätigen die Reime unter dem Bild, dass es sich bei dem Traktat nicht um eine Satire, sondern um die Wahrheit handele. Der verheerende Bund sei ernst zu nehmen, warnt der Verfasser:
Hie ist keyn spot noch leichtfertigkeyt/ | Sonder ist die ernste warheyt/ | Die alhie ist gnugsam erklert/ | Vnd mit der Götlichen schrifft bewert.
Anschaulich illustriert der Holzschnitt den im gegenseitigen Einvernehmen geschlossenen Pakt. Sylvius, ein scharfer Gegner Luthers, lässt keinen Zweifel aufkommen, auf wen man sich einlässt, wendet man sich der neuen Lehre zu: Luther, so harmlos er in seiner Gelehrtentracht wirken mag, steht mit dem Teufel im Bund. Während Luthers Linke auf der Bibel ruht, reicht er seine Rechte Luzifer und besiegelt mit diesem Handschlag den verhängnisvollen Pakt, der zugleich die Heilige Schrift pervertiert. Der Reformator und sein Kumpan erscheinen in gleicher Größe und damit als gleichberechtigte Partner. Mit gebleckten Zähnen und vorschnellender Zunge redet der Teufel auf Luther ein, während ein weiteres diabolisches Wesen seine blasphemische Botschaft dem gelehrten Doktor ins Ohr flüstert. Luthers Blick wendet sich dabei nicht dem Teufel, sondern dem Betrachter zu, der, so die subtile Botschaft, mit dem Blickkontakt Gefahr läuft, selbst Opfer der Teufeleien zu werden.
Beide konfessionellen Parteien übten sich in der Diabolisierung des jeweiligen Gegners. Sogar astrologische Prophezeiungen wurden bemüht, um das Auftreten Luthers in Gestalt des Widersachers zu legitimieren. Mit zahlreichen, bis in das 17. Jahrhundert reichenden Auflagen und Übersetzungen erfreute sich die um 1490 erstmals publizierte Schrift Pronosticatio (bzw. Practica) des Astrologen Johannes Lichtenberger (1426–1503) großer Beliebtheit. Im 33. Kapitel dieses Werks findet sich eine Vorhersage, die auf Luther bezogen wurde, und das sowohl von den Gegnern des Reformators als auch von ihm selbst. Die Rede ist von einem Mönch, der sich gegen die Geistlichkeit erhebt. Besonderes Kennzeichen: Ein Teufel, der sich hinterrücks im Halsbereich seines Skapuliers festklammert (Abb. 1). Kommentatoren der antilutherischen Partei wurden nicht müde, den für das Jahr 1484 geweissagten Mönch mit Martin Luther zu identifizieren. Dafür wurde sogar das Geburtsjahr Luthers (1483) trotz seines Protestes manipuliert.
Fast alle Ausgaben der Pronosticatio sind mit über dreißig Holzschnitten illustriert. Auch das Kapitel des Verderben bringenden Mönchs ziert eine Illustration, die den Ordensmann mit dem Teufel im Nacken zeigt, gefolgt von einem kleinen Begleiter. In einer Mainzer Ausgabe des Werks von 1492 wurde im 16. Jahrhundert von Hand eine bezeichnende Beischrift ergänzt: „Dyth is Martinus Luther“ – das scheint der Teufel mit ausgestreckten Armen zu verkünden. Der hinter Luther stehende Mönch ist als Philipp Melanchthon (1497–1560) ausgewiesen. Luther selbst ließ die Zuschreibung der Weissagung nicht kalt und verfasste 1527 für die deutsche Übersetzung der Pronosticatio ein Vorwort. Dort interpretiert Luther die Vorhersage als Warnung an die Geistlichkeit und Fürsten. Noch deutlicher wird Valerius Herberger (1562–1627) in seiner Gloria Lutheri (Leipzig 1612), wenn er Luther die Worte in den Mund legt:
Sehet nur das Bild ein wenig besser an/ wo sitzt der Teuffel? Er sitzt nicht dem Muenche im hertzen/ sondern auff dem nacken […] Jm hertzen da wohnet mein Herr JESVS/ da soll mir der Teufel nu vnnd nimmermehr hinein kommen/ aber ich meyne er sitzt mir auff dem nacken/ durch Bapst/ Keyser vnd grosse Potentaten (Herberger 1612, S. 44).
Auch einer der heftigsten Gegner Luthers, Johannes Cochlaeus (1479–1552), beruft sich in seinen Schwärmereien auf Lichtenberger: „Hoff auch/ er[Luther]sols auf XX. Jahr nicht bringen […] der unselig Muench/ der den Teuffel auff der achseln tregt/ in Liechtenbergers Practica“ (Cochlaeus 1534, Bl. dii v). Luther war für Cochlaeus nicht nur ein Teufel, er verglich ihn auch mit dem siebenköpfigen Tier der Apokalypse (Offb 13,1). In seiner 1529 gedruckten lateinisch-deutschen Schmähschrift Septiceps Lutherus bzw. Sieben Koeppfe Martini Luthers schildert er die sieben verderblichen Gesichter des Reformators, Chimären des Charakterlosen (Kat. Nr. 22). Der Titelholzschnitt von Hans Brosamer (1495–1554) porträtiert den lesenden Luther als vielköpfigen Irrlehrer. Zwar blicken alle Köpfe in dasselbe Buch – die Bibel –, doch entwickeln sich aus dieser Lektüre nicht Ausgewogenheit und Friedfertigkeit, sondern verwerfliche Eigenschaften, die der Text des Pamphlets erläutert. Die ersten drei dem Namen Luthers zugeordneten Köpfe verweisen auf den Doktor mit entsprechendem Hut, den Mönch „Martinus“ und schließlich auf Luther in Gestalt eines Türken zur Kennzeichnung als Ungläubigen. Es folgen der „Ecclesiast“ mit Priesterbarett, dann der „Schwirmer“ – ein von Hornissen umsurrtes Schwärmerhaupt, danach ein „Visitirer“ in Anspielung auf den antipäpstlichen Kirchenführer und zum Schluss „Barrabas“, der Räuber, den Pilatus anstelle Christi begnadigt hat. Dieser faunartige Kopf mit Morgenstern spielt auf Luther als Anstifter der Bauernaufstände an.
War die charakterliche Vielfalt für die Gegner Luthers Zeichen innerer Widersprüchlichkeit – seinen Anhängern war gerade dies Kennzeichen eines freien, vielschichtigen Menschen jenseits etablierter Dogmen, der um seine Anfechtungen wusste.
Gia Toussaint
Literatur:
Heal 2014; Holsing 2004; Kat. Hamburg 1983a; Kat. Hamburg 1983b; Kat. Nürnberg 1983; Herberger 1612; Reinhardt 2016; Reinitzer 1983; Schuster 1983; Scribner 1994; van Gülpen 2002; Warburg 1998.