Reformatoren in Serie
Dieses Porträt Martin Luthers ist Teil einer Serie von vier Reformatorenbildnissen, die vermutlich auf der Grundlage druckgraphischer Vorlagen im späten 16. bis 17. Jahrhundert entstanden. Neben Luther finden sich in dieser Reihe noch Jan Hus (um 1370–1415), Johannes Calvin (1509–1564) und Philipp Melanchthon (1497–1560) (Wenzel 2012, S. 123–131, Kat. Nr. 20–23). Die eher bescheidene Qualität der Bilder lässt eine genauere Datierung ohne gemäldetechnologische Untersuchungen kaum zu. Die Ausführung als Serie verweist auf eine Gelehrtenstube oder auf die Zugehörigkeit zu einer Reihe von Gelehrtenporträts in einer Bibliothek oder Universität – wie es zum Beispiel für Helmstedt und Leipzig dokumentiert ist (Kat. Nr. 33) – als ursprünglichen Aufbewahrungsort und weniger auf einen Geistlichen als Besitzer, der aufgrund der erheblichen konfessionellen Differenzen zwischen Lutherischen und Reformierten kaum eine derartige Folge einträchtig in seinen Räumen versammelt haben wird. Die Reihung zeigt vielmehr den distanzierten Blick des Gelehrten auf die Hauptvertreter der Reformation. Wie rückseitige Sammlersiegel belegen, gehörte das Porträt der Katharina von Bora Inv. Nr. B 93 der Herzog August Bibliothek aus der Cranach-Werkstatt ebenfalls zu dieser Sammlung (Wenzel 2012, S. 78–84, Kat. Nr. 12), bevor die Bilder in die Wolfenbütteler Bibliothek gelangten.
Für den frühesten Reformtheologen in dieser Bildnisreihe, Jan Hus, ist noch kein lebenszeitliches Porträt überliefert. Ebenso ist kein höherwertiges Porträt von Johannes Calvin erhalten, einem jüngeren Zeitgenossen Luthers, der aber aufgrund seiner eigenen Bildkritik offenkundig auch zu seinem eigenen Bildnis in einem problematischen Verhältnis stand. Im Gegensatz zu diesen beiden wurden die Reformatoren Luther und Melanchthon im Bildnis bereits zu deren Lebzeiten – in zahlreichen Werken der Cranach-Werkstatt als Pendants – verbreitet. Wie die Ehebildnisse Luthers und der Katharina von Bora (Kat. Nr. 33) dienten diese ‚Freundschaftsbilder‘ der propagandistischen Verbreitung der ‚Effigies‘ der wichtigsten Gewährsleute der Reformation. Das vorliegende Bildpaar ist allerdings wesentlich später entstanden. Es kombiniert nicht mehr den bei den Pendants der Cranach-Werkstatt üblichen Luther-Typus von 1532 (Friedländer/Rosenberg 1979, S. 131–132, Kat. Nr. 314), sondern den aus den Ehebildnissen hervorgehenden früheren Typus von 1528 mit dem Melanchthon von 1532 (Friedländer/Rosenberg 1979, S. 131–132, Kat. Nr. 312 u. 315).
Die Ausführung enthält kaum noch Reminiszenzen an den Stil der Cranach-Werkstatt, so dass die Vermutung naheliegt, dass der unbekannte Kopist zur Übertragung des Bildnisses nicht etwa auf eine Lochpause (Kat. Nr. 34), sondern jeweils auf eine der zahlreichen druckgraphischen Vorlagen nach Cranach zurückgriff (Abb. 1). Dies würde die eigentümlich gerundeten Fleischpartien und das starke Helldunkel der Darstellung erklären.