Goethes Luther-Monument
Im November 1816 skizzierte Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), beraten vom Hofbaumeister Clemens Wenzeslaus Coudray (1775–1845), ein Luther-Denkmal. In Bleistift und Tusche entwickelt sich der Entwurf auf insgesamt drei Blättern (Abb. 1 u. Abb. 2) zu einem reliefierten Sockel mit kleiner bekrönender Figurengruppe (Exponat 44).
Zwar lässt sich das Bildprogramm aus den flüchtigen Skizzen nicht dechiffrieren, eine Legende verrät jedoch, dass für das obere Modul des dreistufigen Sockels Nischenskulpturen vorgesehen waren. Auf den kurzen Querseiten stehen sich die Kirchenväter Augustinus, als Personifikation der katholischen Kirche des Abendlandes, und Athanasius, als Personifikation des morgenländischen Christentums, gegenüber, während die prominenten Längsseiten die Figuren des Apostels Paulus, als Personifikation des Urchristentums, und Luthers enthalten, der für die reformierten Christen steht (Femmel 1977, Bd. 6, A, Nr. 215/216; Reichert 2000, S. 18).
Seine Briefe und sein Tagebuch verraten, dass Goethe sich mit diesem Projekt über Tage hinweg beschäftigte (Goethe 1887–1912, Abt. III, Bd. 5, S. 284f.; ebd., Abt. IV, Bd. 27, S. 237). Zur Ausführung kam es dann allerdings nicht. Warum und für welchen Anlass bemühte Goethe sich also? 1816 stand das 300-jährige Reformationsjubiläum kurz bevor, und diverse Feierlichkeiten und Festveröffentlichungen waren in Planung (Gerber 2005). Zumindest in Weimar hat sich Goethe als Beitragender aber zurückgehalten und die deutschlandweit vielgestaltigen Initiativen später sogar als „verworrene[n] Quark“ abqualifiziert (Goethe 1887–1912, Abt. IV, Bd. 27, S. 227, s. dazu weiterführend Ehling 2015). Und doch entwirft er zur Feier der Reformation neben dem Denkmal auch noch eine Reformationsmedaille und sogar eine Reformationskantate. Goethe widerstrebte also nicht der Anlass, sondern die kleinteilige, nur lokale Perspektive der Feierlichkeiten. Seines Erachtens sollte der Termin der Reformationsfestivitäten deutschlandweit auf den Tag des siegreichen Endes der Leipziger Völkerschlacht (18. Oktober) gelegt werden, um allen Deutschen die Möglichkeit zu geben, gemeinsam die Errungenschaften Luthers und der deutschen Reformation zu feiern (Goethe 1887–1912, Abt. I, Bd. 42, S. 32 ff.).
Auch die zusammen mit dem in Berlin lebenden Komponisten Carl Friedrich Zelter (1758–1832) geplante Reformationskantate feierte weniger einen auftrumpfenden Protestantismus als vielmehr die humanistisch orientierten, allgemein christlichen Qualitäten der lutherischen Lehre. Wenn all diese Entwürfe auch in der Schublade blieben, illustrieren sie doch Goethes Anspruch: Er erkennt in seiner Position – der des allseits bewunderten, zu Lebzeiten zur Legende aufgestiegenen Nationaldichters – eine Pflicht zur ausgleichenden, identitätsstiftenden Mitgestaltung der deutschen Kultur. Als Zelter ihm erzählt, dass in Berlin die namhaftesten Architekten und Bildhauer der Zeit, Friedrich Schinkel (1781–1841), Gottfried Schadow (1764–1850), Heinrich Gentz (1766–1811), und Friedrich Georg Weitsch (1758–1828) um den Auftrag zu einem Lutherdenkmal konkurrieren, versteht Goethe es als Selbstverständlichkeit, dass man ihn als Sachverständigen zur Beratung hinzuziehen wird (Philipp 1996, S. 161ff.). Er scheut sich auch nicht, sofort seine eigenen Ideen zu propagieren: „Die Weimarer Kunstfreunde arbeiten vor“, schreibt er an Zelter (Goethe 1887–1912, Abt. IV, Bd. 28, S. 237). Goethe sieht sich in seiner Rolle als „großer Deutscher“, der ein Monument für einen anderen großen, ebenbürtigen Deutschen entwirft.
Sophie Tauche
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