Luther, die Marke

Einführung in die Sektion

Hole Rößler

Eine Marke erkennt man daran, dass man sie erkennt. Diese so schlichte wie einleuchtende Formel aus dem Repertoire gängiger Marketingweisheiten bietet auch im historischen Rückblick einen ersten Ansatz, Durchsetzungsstrategien und Bildpolitik der Reformationszeit zu betrachten, deren Folgen noch in unseren Tagen sichtbar sind. Markenhaft sind zweifellos die Bildnisse Luthers, deren erhebliche Präsenz im öffentlichen Raum und in den Medien einen Eindruck von ihrem Platz im kollektiven Gedächtnis der Gegenwart vermittelt. „Luther ist heute eine Ikone, er ist sogar eine heutige Ikone, also eine ohne nennenswerte Botschaft. Mehr Logo als Vorbild.“1 Anders gesagt: Luther erkennt man – unabhängig davon, was man mit ihm verbindet.2 Dieses große Wiedererkennungspotenzial gepaart mit einer durch konjunkturelle Omnipräsenz forcierten Popularität der Person bedingt, dass eine ganze Industrie sich heute nicht nur seines Namens, sondern auch seines Porträts bedient (Abb. 1).

Abb. 1
Abb. 1 Vom Bier bis zur Badeente: aktuelle Produkte der ‚Lutherindustrie‘
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Die Grundlage für die nachhaltige Etablierung von Lutherbildnissen schufen bekanntlich seit 1520 Lucas Cranach d. Ä. (um 1472–1553), sein Sohn Lucas d. J. (1515–1586) und deren gemeinsame Werkstatt in Wittenberg.3 Die serielle Produktion von Gemälden (Kat. Nr. 33 und Nr. 34) in der Cranach-Werkstatt sowie die druckgraphischen Bildnisse und ihre zahllosen Kopien und Adaptionen in Büchern (Kat. Nr. 30–32, Nr. 42 und 43) und Flugblättern (Kat. Nr. 13) sorgten gleichermaßen für eine Verbreitung wie auch für eine zunehmende Kanonisierung der Lutherporträts, auf deren Bekanntheit wiederum die kontroverstheologische Polemik und Karikatur umstandslos aufbauen konnten (Kat. Nr. 24).4

Das Porträt, das als Medium personeller Repräsentation das Wappen als Medium genealogischer Repräsentation zunächst konkurrenzierte und in seiner sozialen Funktion schließlich beerbte,5 wurde vor allem durch die von der Druckgraphik ermöglichte massenhafte Zirkulation zu einem dem Namen mindestens ebenbürtigen Markenzeichen.6 Noch das offizielle Logo der Lutherdekade und des Lutherjubiläums 2017 geht auf ein Gemälde Lucas Cranachs d. Ä. zurück (siehe den Beitrag von Hansjärg Buss, Abb. 8). Voraussetzung für die Funktionalität eines Porträts als Markenzeichen war dessen Wiedererkennungspotenzial, begründet durch seine Ähnlichkeit mit anderen, bereits bekannten Porträts.7 Diese musste auch gewährleistet bleiben, wo hinsichtlich Porträttyp, Bildausschnitt und Ausstattung Anpassungen an das jeweilige Medium und die konkrete Bildfunktion erfolgten.8 Die Bildpolitik der Reformation geriet in Hinblick auf Luthers Porträts zu einem sich selbst perpetuierenden System. So lässt sich von der ersten bekannten Darstellung Luthers 1519 (siehe den Beitrag von Claus Conermann, Abb. 6) bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts eine zunehmende Reduktion auf wenige, noch heute bekannte Porträttypen feststellen.

Abb. 2
Abb. 2 Friedrich Rossmäßler: Drei Porträts von Martin Luther, Radierung, aus: Heinrich Gottlieb Kreußler: D. Martin Luthers Andenken in Münzen nebst Lebensbeschreibungen merkwürdiger Zeitgenossen desselben, Leipzig/Wurzen: Fleischer/Verfasser 1818, Tafel II. HAB: Portr. I 8354

Auf die bis etwa 1525 reichende Phase, in der eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Bildnisse des Reformators entstand (siehe den Beitrag von Robert Kolb, Abb. 1, Sektion Luther, der Teufel, Abb. 2 u. Abb. 3),9 folgte eine Phase der Entdifferenzierung, in der sich die Porträts aus der Cranach-Werkstatt durchsetzten. Diese Durchsetzung verdankte sich weniger dem Umstand, dass die Cranachschen Bildnisse wirklichkeitsgetreuer oder qualitativ höherwertiger als andere waren. Entscheidend war vielmehr ihre serielle Produktion und mithin ihre massenhafte Verbreitung, die durch direkte Kopien oder Nachahmungen aus zweiter und dritter Hand exponentiell zunahm.10

Gleichwohl war Luther keine einfache Marke. Noch zu Lebzeiten entstanden mehrere Porträttypen mit einer je eigenen Rolle bzw. einem spezifischen ‚Image‘:11 Luther, der Mönch, der Theologe, Junker Jörg, der Ehemann und der Kirchenvater bzw. der „feiste Doktor“ (Abb. 2).12

Die Bilder aus den verschiedenen Lebensphasen Luthers lösten einander nicht zeitlich parallel zu diesen ab, sondern führten – befördert durch Lutherbiographien und die posthume Legendenbildung – lange Zeit eine Koexistenz. In Bezug auf diese Bildnisse könnte man von wechselnden ‚Markenzeichen‘ bei gleichbleibendem Markennamen sprechen.Nach seinem Tod 1546 verbreiten sich die von der Cranach-Werkstatt geprägten Lutherbildnisse zunehmend auch in anderen Bildmedien, etwa auf Medaillen,13 Gebrauchskeramik,14 aber auch auf Ofenkacheln15 und in der Baudekoration (Abb. 3).

Abb. 3
Abb. 3 Farbig gefasstes Schnitzwerk auf einem Balken des ehemaligen Hauses Wasserstraße 4 in Hornburg, 1553. Heimatmuseum Hornburg/Beatae Mariae Virginis, Foto des Verfassers
Foto des Verfassers; diese Abbildung ist urheberrechtlich geschützt

Ein wichtiger Ort für Porträts waren im 16. Jahrhundert überdies Bucheinbände. In erster Linie ist hier an Arbeiten im Wittenberger Stil zu denken, das heißt blind geprägte und gepresste Einbände aus hellem Schweinsleder (Abb. 4) (Kat. Nr. 18).16 Aus der Zeit vor Luthers Tod sind Porträts des Reformators auf Bucheinbänden nur vereinzelt nachweisbar, was darauf deutet, dass auch in diesem Fall eine massenhafte Produktion erst ab der Jahrhundertmitte einsetzte, die sich wiederum an den Cranach'schen Vorlagen orientierte.17

Vor diesem Hintergrund scheint es angemessen, von einer Allgegenwart Luthers in den lutherisch-reformierten Ländern in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu sprechen.18 Als Erkennungszeichen und ‚Aushängeschild‘ fungierten die Bilder als visuelles Bekenntnis ihrer Besitzer; mit ihnen konnten Zugehörigkeit und Identität in unterschiedlichen sozialen Räumen gleichermaßen ausgestellt und hergestellt werden.19 Obgleich manchen Lutherporträts ein reliquienähnlicher Status zugeschrieben wurde und sie eine kultische Verehrung erfuhren,20 war dies die Ausnahme. In bestimmten Formen der Frömmigkeitspraxis mag Lutherbildnissen auch eine Erinnerungs- oder gar Mahnungsfunktion zugekommen sein.21 Insbesondere im Fall der druckgraphischen Autorporträts zeugen sie aber vor allem von Markenbildung und Markenbewusstsein seitens der Druckerverleger und ihrer Kunden.

Abb. 4
Abb. 4 Porträt Martin Luthers nach Lucas Cranach d. J., spätes 16. Jahrhundert, auf: Martin Luther: Uthlegginge der Evangelien, Magdeburg: Walter 1533, vorderer Einbanddeckel. HAB: A: 919.129 Theol.

Die Herausbildung der Marke ‚Luther‘ erfolgte freilich nicht allein über sein Bildnis. Es waren vor allem Luthers Schriften, die ihn und seinen Namen berühmt machten. Die an den Erfolg der 95 Thesen unmittelbar anschließenden Publikationen Luthers erfuhren eine massenhafte Verbreitung, wie sie bis dahin unbekannt war. Bereits bis Ende des Jahres 1519 erschienen 45 selbständige Publikationen mit insgesamt knapp 1600 Druckseiten. Luthers Bekanntheit lässt sich daran ablesen, dass diese 45 Schriften 236 Auflagen erreichten. Allein die vom Umfang her geringeren 20 deutschen Schriften wurden 133‑mal aufgelegt; hinzu kamen noch 11 Übersetzungen ursprünglich lateinischer Predigten.22 Noch bevor er nach Worms zitiert wurde, war Luther so berühmt, dass die Wittenberger Drucker anstelle seines Namens nur noch die Initialen „M. L.“ oder auch „M. L. A.“ (Martinus Lutherus Augustinianus) auf die Titelblätter setzten (siehe den Beitrag von Claus Conermann, Abb. 10).23

Erkennt man den Erfolg einer Marke an der Menge der Kopien, die von ihr existieren, so war der Erfolg von ‚Luther‘ unerhört. Nicht wenige versuchten an Luthers Berühmtheit zu partizipieren, von ihr zu profitieren. Luthers Popularität machte seine Schriften zu einer begehrten Ware, und viele von ihnen wurden, kaum hatten sie die Wittenberger Pressen verlassen, in großer Zahl nachgedruckt. In den ersten Jahren nach 1517 dominierten gar auswärtige Nach- und Raubdrucke von Luthers Schriften den Buchmarkt und beförderten in nicht zu unterschätzendem Maße die Ausbreitung lutherischen Gedankenguts und mithin die Reformation.24 Für viele Druckerverleger waren Luthers Schriften ein lukratives Produkt, ihr Autor eine Absatz verheißende Marke, was zum Teil erstaunliche Züge annehmen konnte. So bat Luther die auswärtigen Drucker 1523, auf die Publikation seiner Predigten zu verzichten, „es sey denn/ das sie durch meyne hand gefertiget oder hie zu Wittemberg durch meyn befelh tzuvor gedruckt sind“.25 Dieses Gesuch erschien als Vorrede zu seiner am 22. Juni 1522 gehaltenen Predigt Von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, die vor ihrer Drucklegung in Wittenberg bereits viermal in anderen Städten erschienen war.26 Die anschließend an die Wittenberger Ausgabe veröffentlichten, nicht-autorisierten Nachdrucke aus Basel und Augsburg wiederum enthielten auch Luthers kritische Vorrede.27

Eine Folge der Konkurrenz unter den (Raub‑)Druckern waren rasche Produktionsgeschwindigkeiten, die notwendig auf Kosten der Akkuratesse gingen. Wiederholt beklagte Luther die schlechte Qualität dieser Schriften: „Da ist etwas aussen, Da ists versetzt, Da gefelscht, Da nicht corrigirt.“28 Als Mittel, die von ihm autorisierten Drucke von den Nachdrucken zu unterscheiden, verwendete er ab 1534 seine ‚Rose‘ (siehe dazu den Beitrag von Klaus Conermann) als „Schutzmarke“.29 Dass die meisten Drucker außerhalb Wittenbergs davon absahen, die Lutherrose für ihre Ausgaben zu kopieren, war indes wohl weniger Respekt oder gar Angst vor juristischen Folgen geschuldet, sondern hatte vermutlich ganz materielle Gründe: Man wollte sich die Kosten für einen Formschneider sparen. Produktpiraterie führte mithin zu einer Aktualisierung des ‚Wappens‘, das neben Porträt und Name zeitweilig zum gleichberechtigten Markenzeichen wurde (Abb. 5). Als von seinen persönlichen und theologischen Implikationen befreites Logo auf Devotionalien, Dekor- und Konsumartikeln hat es sich bis heute erhalten.

Abb. 5
Abb. 5 Johann Philipp Walch: Martin Luther mit Lutherrose auf Wappenschild, Kupferstich 1617. HAB: Portr. II 3316b

Die Vermarktung von ‚Lutherprodukten‘ ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bereits zur dritten Säkularfeier der Reformation 1817 wurden Repliken von Luthers angeblichem Verlobungsring zum Verkauf angeboten (Kat. Nr. 6). Und ein Jahrhundert zuvor bemerkte Johann Peter von Ludewig (1668–1743) in seinen Gelehrten Anzeigen (1743–1745), dass Bücher aus Luthers Besitz und anderer namhafter Gelehrter teuer gehandelt würden, obwohl sich aus dem Namenseintrag der prominenten Vorbesitzer und dem, „was sie hie und da, an den Rand oder sonsten, darein eigenhändig geschrieben“ hätten, kaum ein Nutzen ziehen ließe. „Doch weil auch viele andere Gelehrte an dieser Kranckheit liegen und künftig liegen werden: so dürfte, in dergleichen Umständen, das Aufgeld nicht eben gäntzlich verlohren seyn.“30 In dieser Hinsicht erweist sich jedes Reformationsjubiläum und die mit ihm einhergehenden Praktiken zur Erregung von Aufmerksamkeit und Interesse auch als Aktualisierung der Marke ‚Luther‘, die damit über Zeiten- und Generationenwechsel hinweg attraktiv und ökonomisch verwertbar gehalten wird.

 

 


 

1  Dorn/Wagner 2011, S. 393.

2  Vgl. Böhmer 1910, S. 1–5.

3  Siehe dazu zuletzt Kat. Wartburg 2015; Werner 2015.

4  Vgl. Wegmann 2008. Zum Massenmedium des Drucks und dessen Rolle für die Reformation siehe etwa Burkhardt 2002, bes. S. 26–30; Pettegree 2015.

5  Siehe dazu Belting 2003.

6  Vgl. Scribner 1994, S. 14–36.

7  Vgl. Groebner 2015, S. 42–45.

8  Meier 1995, S. 452.

9  Vgl. Scribner 1994, S. 14–36.

10  Vgl. Wegmann 2008, S. 224f. Siehe dort auch zu den Konjunkturen der druckgraphischen Produktion der Cranach-Werkstatt vor und nach Luthers Tod.

11  Vgl. Hess/Mack 2010, S. 281 u. 289. Siehe dazu grundlegend Warnke 1984.

12  Vgl. van Gülpen 2002, S. 126–162. Eine prominente Zusammenstellung der drei Porträttypen ist das um 1572 entstandene, dem Cranach-Schüler Veit Thim zugeschriebene Luther-Triptychon in der Stadtkirche St. Peter und Paul Weimar. Zur Abhängigkeit der Porträttypen voneinander siehe Hess/Mack 2010.

13  Siehe bspw. Juncker 1706; Kreußler 1818; Schnell 1983.

14  Jarecki 2008.

15  Hoffmann 2008, S. 207; Kluttig-Altmann 2015.

16  Kat. Weimar 2008, S. 46, Kat. Nr. 15; Helwig 1953–1955, S. 74ff. Siehe dazu auch Schunke 1959.

17  Siehe dazu im Bestand der Herzog August Bibliothek die Einbände von A: 94 Theol. (um 1526) und A: 147.8 Theol. (1532). Zur Vorbildlichkeit der Cranach-Porträts siehe Zimmermann 1927. Für weitere Beispiele siehe die bei Haebler 1928–1929 verzeichneten Plattendrucke mit Lutherbildnissen.

18  Wegmann 2008, S. 221; Roper 2015, S. 349. Die Marke ‚Luther‘ ist mithin keineswegs, wie Andrew Pettegree suggeriert, auf Druckerzeugnisse beschränkt. Vgl. Pettegree 2015.

19  Kammer 1996; Roper 2015, S. 338f.

20  Siehe dazu Roper 2015, S. 338–349 sowie die klassische Studie Scribner 1986a.

21  Zur disziplinierenden Funktion der protestantischen Bildkultur (jedoch ohne Fokus auf Lutherporträts) siehe Müller 2002.

22  Siehe dazu ausführlich Moeller 2001.

23  Burkhardt 2002, S. 29.

24  Vgl. Volz 1954, S. 216; Jauernig 1959, S. 76.

25  WA 10 III, S. 176, Nr. 33.

26  Siehe dazu WA 10 III, S. CXIII–CXXII.

27  Luther 1523; Luther 1523a.

28  WA 17 II, S. 3. Vgl. WA 35, S. 475f.; WA BR 7, S. 94f.; WA BR 8, S. 491. Siehe dazu Volz 1954, S. 216f.; Jauernig 1959, S. 76.

29  Volz 1954.

30  Ludewig 1749, S. 956. Zu Lutherautographen als Sammlungsobjekte im 16. Jahrhundert siehe Rublack 2010, S. 155–159.

 

 

Zitierempfehlung: Hole Rößler: Luther, die Marke. Einführung in die Sektion. In: Luthermania – Ansichten einer Kultfigur. Virtuelle Ausstellung der Herzog August Bibliothek im Rahmen des Forschungsverbundes Marbach Weimar Wolfenbüttel 2017. Format: text/html. Online: http://www.luthermania.de/exhibits/show/hole-roessler-luther-die-marke [Stand: Zugriffsdatum].