Der vervielfältigte Mönch

Martin Luther als Augustinermönch
Martin Luther als Augustinermönch
Martin Luther als Augustinermönch

Martin Luther wurde zu einer Ikone seiner Zeit. Von keiner Persönlichkeit seiner Epoche sind mehr Porträts in Umlauf gebracht worden als von ihm. Die meisten davon gehen auf Bildnisse zurück, die in der Wittenberger Werkstatt der Cranachs geschaffen wurden. An diesen zahlreichen Lutherbildnissen wird erkennbar, dass die Mitglieder der Künstlerfamilie Cranach nicht als singuläre Künstler agierten, sondern sich mit ihrer Werkstatt gleichermaßen als Marke verstanden und wie sie dazu beitrugen, die Marke „Luther“ zu erfinden und in der visuellen Kultur ihrer Zeit zu etablieren. Wir wissen heute nicht sicher, wie viele unterschiedliche Darstellungen des Reformators als Reproduktionsgraphik oder Ölgemälde (Kat. Nr. 33, Nr. 34, Nr. 35) in unterschiedlichsten Größen die Cranach-Werkstatt verlassen haben oder wie oft sie kopiert und weiterverbreitet wurden. Sicher ist, dass ab 1520/21 innerhalb weniger Jahrzehnte tausende Bildnisse Luthers in der Cranach-Werkstatt gedruckt oder gemalt wurden. Der Markt, der sich um Luther als Person und seine Schriften gebildet hatte, konnte nur durch Massenproduktion bedient werden. Lucas Cranach (1472–1553) und seine beiden Söhne, Lucas d. J. (1515–1586) und Hans (1513–1537), sowie die Angestellten der Werkstatt hatten bis zum Tod Luthers das ausschließliche Recht ihn zu porträtieren. Dadurch, vor allem aber durch die massenhafte Produktion von Bildnissen war gewährleistet, dass die allermeisten zeitgenössischen und auch späteren Porträts Luthers sich auf die Gemälde und Stiche der Cranach-Werkstatt bezogen und somit das gewünschte Bild des Reformators verbreiteten.

Entscheidende Impulse, ein prägendes Image Martin Luthers zu entwickeln, kamen wohl von Albrecht Dürer (1471–1528). In einem Brief an Georg Spalatin (1484–1545), den Sekretär Friedrichs des Weisen, schrieb Dürer 1520: „Und mir hilft got, das jch zw doctor Martinus Luther kum, so will jch jhn mit fleis kunterfetten und jn kupfer stechen zw einer langen Gedechtnus des kristlichen mans, der mir aws grossen engsten gehollfen hat“ (Dürer 1993, S. 96). Der Kunsthistoriker Martin Warnke sieht in dieser Äußerung den Hinweis Dürers, die Möglichkeiten der Druckgraphik für eine Popularisierung des Reformators und seiner Gedanken zu nutzen (Warnke 1984, S. 14). Der Wunsch Dürers, den Reformator zu porträtieren, ging nicht in Erfüllung, stattdessen hatte Lucas Cranach d. Ä. die Gelegenheit dazu. In seiner Werkstatt entstanden zwischen 1520 und 1546 sieben verschiedene Porträttypen Martin Luthers, die mit jeweils spezifischen propagandistischen Bedeutungen aufgeladen sind.

Vermutlich erteilte der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise (1463–1525) seinem Hofkünstler Cranach den Auftrag, ein Porträt Luthers zu fertigen, um dessen Popularität vor dem Reichstag zu Worms 1521 noch zu steigern. Es ist davon auszugehen, dass sich der Landesherr der Bedeutung des Luther-Porträts bewusst war und dessen Verbreitung aus politischen Gründen gezielt förderte. Vor dem Wormser Reichstag waren die Schriften Martin Luthers, sein Name als Reformator und Kritiker der katholischen Kirche sowie des Papstes schon weit verbreitet, ein realistisches Abbild von ihm existierte jedoch noch nicht.

Die frühen Porträts zeigen Luther als Augustinermönch und dienten seiner Bekanntmachung. Ein erster Stich Cranachs, von dem nur wenige Probedrucke existieren, der aber zur Vorlage der folgenden Porträts diente, zeigt Luther zu Beginn seines reformatorischen Wirkens (Schuchardt 2015, S. 24 ff.). Luther war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt, als Reformator bereits namentlich bekannt und stand vor großen Entscheidungen. Seine Gesichtszüge sind fest und sicher, allerdings erscheint er in diesem ersten Bildnis auch hart und unbeugsam. Da eine Zuspitzung des Konfliktes zu erwarten war, kam es nicht zur Verbreitung dieses Stiches. Die wenigen existierenden Probedrucke bekam kaum einer von Luthers Zeitgenossen zu sehen (Warnke 1984, S. 25 ff.). Am unteren Abschnitt des Porträts ist eine auch in einigen späteren Stichen übernommene Inschrift eingefügt: „Aetherna ipse suae mentis simulachra Lutherus | exprimit a vultus cera Lucae occiduos“ – „Die unvergänglichen Bilder seines Geistes bringt Luther selbst zum Ausdruck, das Wachs des Lucas dagegen seine sterbliche Gestalt“.

Größere Verbreitung und Bekanntheit erfuhr erst eine Graphik, die den Mönch Luther als Halbfigur in einer Nische stehend zeigt (Kat. Nr. 10, Abb. 1). Der Typus gleicht der geläufigen Darstellung von Heiligenbildern. Vor sich hält er ein aufgeschlagenes Buch, wobei seine Hand verdeckt ist. Die andere Hand ist vor die Brust gelegt. Die in der Vorlage noch strengen Gesichtszüge sind hier deutlich abgemildert.

Die Ausführung in Form eines leicht zu reproduzierenden Kupferstiches gewährleistete eine weite Verbreitung und machte dieses Porträt zur Vorlage für etliche druckgraphische Kopien, die in Form von Einzelblättern oder Autorbildnissen kursierten (Exponat Nr. 30 und Exponat Nr. 31). Auch einige Zeitgenossen Cranachs wie Hans Baldung Grien (Kat. Nr. 10), Erhard Schön und Daniel Hopfer (Kat. Nr. 10, Abb. 4) nutzten das Blatt für eigene Zwecke. Dieses Bildnis ist der Beginn einer Lutherinszenierung, die binnen kürzester Zeit Wirkung zeigte, und in der Luther so sehr glorifiziert wurde, dass bereits auf dem Wormser Reichstag Kritik daran geäußert wurde.

Dass die künstlerische Qualität der Porträts gegenüber ihrer Funktion als Marke und Objekt der Verehrung eine untergeordnete Rolle spielte, zeigt beispielsweise eine sehr viel gröber ausgeführte seitenverkehrte Variante (Exponat Nr. 32). Auch hier ist Luther als Mönch mit aufgeschlagenem Buch in der Nische wiedergegeben. Allerdings scheint die Nische im Verhältnis zum Köper zu klein, der Kopf an der Wölbung der Nische anzustoßen. Die Gesichtszüge sind leicht deformiert und auch die Gewandfalten deutlich gröber ausgeführt. Offenbar musste die Produktion des Holzschnitts recht schnell erfolgen, um die Nachfrage nach Lutherbildnissen bedienen zu können.

Luther wusste sein eigenes Bildnis gekonnt einzusetzen. Es diente bei der Durchsetzung der Reformation als Instrument der Bildpropaganda, indem es als Botschafter des reformatorischen Programms und der Illustration seines biographischen Werdegangs fungierte. Dabei gehörte er als Sohn eines Bergmannes nicht zum Kreis derer, die ein Bildnismaler als Auftraggeber hatte oder die er aus ökonomischen Gründen in Betracht zog zu malen oder zu stechen. Die bildliche Darstellung von Menschen in sogenannten Porträts oder Bildnissen entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und war zunächst den Vertretern der Fürstenhäuser vorbehalten. Erst im Verlauf des folgenden Jahrhunderts traten reiche Bürger, Kaufleute, Gelehrte, geistliche und weltliche Würdenträger mit dem Wunsch nach eigenen Bildnissen an die Maler heran (Schütz 2011). Lange waren Malerei und Graphik die künstlerischen Mittel der Wahl, doch die graphischen Techniken boten erstmals die Möglichkeit der Vervielfältigung und damit der weiteren Verbreitung. Die deutende Darstellung einer Person diente dazu, ihre Taten oder Eigenschaften im Gedächtnis des Betrachters zu verankern, auch über dessen Tod hinaus.

Auf Martin Luther wurden Künstler wie Albrecht Dürer und Lucas Cranach d. Ä. erst durch die Geschehnisse der Zeit aufmerksam. 1520, als die Inszenierung der Person Luthers begann, hatten sich die Ereignisse, die auf den Anschlag der 95 Thesen in Wittenberg folgten, zugespitzt. Luther hatte es schon während seiner Befragung durch Kardinal Thomas Cajetan (1469–1534) auf dem Augsburger Reichstag 1518 abgelehnt, seine Kritik an der katholischen Kirche zu widerrufen. Im folgenden Jahr ließ er sich bei der Leipziger Disputation mit Johannes Eck dazu hinreißen, das Selbstverständnis des Papstes als Stellvertreter Christi in Frage zu stellen, wissend, dass dies ein Verfahren gegen ihn als Ketzer nach sich ziehen musste. Es folgte eine Reihe von Flugschriften Luthers, darunter 1520 De captivitate Babylonica ecclesiae (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche). In dieser Lebenssituation entstand das erste Bildnis des Typus „Luther als Mönch“, das als Autorbildnis in dieser Schrift abgedruckt wurde.

1518 begann auch die für beide Seiten so erfolgreiche Zusammenarbeit Luthers mit Lucas Cranach d. Ä., als Cranach erste Titelholzschnitte und ‑rahmen für die Schriften des Theologen anfertigte. Das erste Bildnis gilt bis heute als frühester Beleg für einen persönlichen Kontakt zwischen Künstler und Reformator.

Judith Tralles

Literatur:

Schütz 2011; Warnke 1984.